Monday, December 16, 2013

Eine Weihnachtsgeschichte – Kapitel Sechzehn…


Ich habe die Wohnzimmertür ausgehängt und das Lama mit vielen, vielen guten Worten wieder zum Zuhören überredet. Aber vielleicht war gar nicht so viel Überredung nötig. Irgendwie scheint das Tier nun doch das Geschichtenfieber gepackt zu haben.

"Frau Trude", lese ich den Titel der heutigen Geschichte vor.

"Hey, das klingt nach einer lieben Frau und einer gemütlichen Geschichte!" ruft das Lama begeistert aus. "Ich hole schon mal die Kekse und mache uns einen Wintertee mit Zimt. Dann noch die Kuscheldecke. Und der Märchenabend ist perfekt!"

Ich lächele diabolisch, lasse das Tier jedoch gewähren. Und als es mir mit einer dampfenden Teetasse zwischen den Vorderfüßen und dennoch bis zum Hals in die Decke eingemummelt auffordernd zunickt, lese ich weiter:

"Es war einmal ein kleines Lama, das war eigensinnig und vorwitzig, und wenn sein Bromford etwas sagte, so gehorchte es nicht. Wie konnte es dem gut gehen?"

Das Lama runzelt die Stirn, nippt aber weiter an seinem Tee.

"Eines Tages sagte es zu seinem Bromford:

'Ich hab so viel von der Frau Trude gehört, ich will einmal zu ihr hingehen; die Leute sagen, es sehe so wunderlich bei ihr aus, und erzählen, es seien so seltsame Dinge in ihrem Apartment, da bin ich ganz neugierig geworden.'

Der Bromford verbot es ihm streng und sagte:

'Die Frau Trude ist eine böse Frau, die gottlose Dinge treibt, und wenn Du zu ihr hingehst, so bist Du mein Lama nicht mehr.'

Aber das Lama kehrte sich nicht an das Verbot seines Bromfords und ging doch zu der Frau Trude. Und als es zu ihr kam, fragte die Frau Trude:

'Warum bist Du so bleich?'

'Ach', antwortete es und zitterte am Leibe, 'ich habe mich so erschrocken über das, was ich gesehen habe.'"

Das Lama hat die Teetasse auf dem Couchtisch abgestellt und hängt gebannt an meinen Lippen, während es an einem besonders großen Keks herumknabbert.

"'Was hast Du gesehen?'

'Ich sah auf eurer Stiege einen schwarzen Mann.'

'Das war ein Köhler.'

'Dann sah ich einen grünen Mann.'

'Das war ein Jäger.'

'Danach sah ich einen blut-roten Mann.'

'Das war ein Metzger.'

'Ach, Frau Trude, mir grauste, ich sah durchs Fenster und sah Euch nicht, wohl aber den Teufel mit feurigem Kopf.'

'Oho', sagte sie, 'so hast Du die Hexe in ihrem rechten Schmuck gesehen. Ich habe schon lange auf Dich gewartet und nach Dir verlangt, Du sollst mir leuchten.'

Da verwandelte sie das Lama in einen Holzblock und warf ihn ins Feuer. Und als es in voller Glut war, setzte sie sich daneben, wärmte sich daran und sprach:

'Das leuchtet einmal hell!'"

Das Lama verschluckt sich, hustet und spuckt Kekskrümel über den ganzen Couchtisch.

"Alter! Was war das denn?" keucht es. "Solche Geschichten will ich nicht hören! Das war ja fürchterlich. Und wo war da das Happyend?"

"Na", grinse ich, "die Frau Trude hatte es doch schön hell am Ende. Was willst Du mehr?!"

"Das hast Du mit Absicht gemacht, Alter!"

"Was?" frage ich mit Unschuldsmiene. "Das Märchenbuch schlägt die Geschichten vor, die ich erzählen soll. Ich habe keinen Einfluss darauf."

"Du bist ein Lügner, Bromford Bibble!" verkündet das Tier und trottet wieder beleidigt in sein Zimmer. Diesmal allerdings, ohne die Türen zu knallen.

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