Sunday, December 08, 2013

Eine Weihnachtsgeschichte – Kapitel Acht…


Als ich an diesem Abend das Wohnzimmer betrete, sehe ich erschrocken, wie das Lama vor einer Salatschüssel auf dem Couchtisch steht und mit den Zähnen einzelne Seiten aus der großen Enzyklopädie herausreißt und sie in das kleine Feuer wirft, das bereits in der Schüssel brennt.

"Was zum Geier machst Du denn da?" schreie ich und werfe eine Decke über die Glasschüssel, um die Flammen zu ersticken.

"Jetzt mach' Dich mal locker! Chill mal Dein Leben, Alter!" verlangt das Lama und versucht die Buchseiten wieder zu entzünden. "Dies ist die dunkle Zeit, wenn ich Dich erinnern darf. Die Ernte ist eingefahren, alle Arbeiten auf dem Feld sind erledigt, also versammelt sich die Gemeinschaft - Herren und Bedienstete des Gutshofes oder das Dorf an sich oder so ähnlich - um ein Lagerfeuer oder vielleicht auch das Küchenfeuer und erzählt sich Geschichten. Meistens macht das der alte, zahnlose Opa, der sowieso nicht mehr lange zu leben hat. Das wärst in diesem Fall Du. Ich habe doch nur versucht, es uns gemütlich zu machen, Alter! Kein Grund zum Ausrasten!"

"Ein Lagerfeuer!?" poltere ich und nehme dem Tier das Feuerzeug ab. "Im Wohnzimmer? Du tickst wohl nicht ganz richtig. Hat es nicht gereicht, dass Du letztes Jahr zu Silvester das halbe Penthouse abgefackelt hast? Lernst Du denn gar nichts aus Deinen Fehlern?"

"Ähm", sagt das Lama und kaut gedankenverloren auf der Buchseite herum, die es noch im Maul hat, "Du weißt doch, dass ich mir nichts aus Geschichten mit einer Moral mache, und dass ich grundsätzlich nichts aus meinen Fehlern lerne und sie stattdessen verdränge, um sie jederzeit wiederholen zu können und immer wieder und wieder zu machen."

Ich seufze: "Und warum verbrennst Du das große, mehrteilige Lexikon?"

"Doch nur den Band 'X, Y, Z'", rechtfertigt sich das Tier. "Das ist sowieso der dünnste von allen. Was fängt schon mit 'Y' an? Außerdem ist dieses gedruckte Machwerk inzwischen so veraltet, dass die Hälfte der Einträge inzwischen bestimmt total überholt ist. Wozu sich noch mit unaktuellem Buchballast rumschleppen, wenn sowieso alles, was man wissen muss, bei 'Lexipedia' im Internet steht?"

"Die digitale Demenz hat einen Namen", brumme ich. "LAMA!"

"Hast Du Dein Mütchen jetzt wieder abgekühlt?" fragt das Tier. "Hast Du Dich abgeregt? Kann ich jetzt Feuer im Kamin machen, und Du erzählst die Geschichte vom Lama und seinem Goldklumpen zuende?"

Wir sind uns nicht einig, ob das Penthouse einen Kamin hat oder nicht, denke ich zerstreut. Manche BlogBlock-Einträge sagen so, die anderen ganz anders. Laut sage ich:

"Heute ist mir die Lust daran vergangen! Außerdem muss ich jetzt erst mal dieses Chaos hier beseitigen und im Internet recherchieren, ob man Band 'X, Y, Z' der Enzyklopädie auch einzeln kaufen kann, und mir, wenn nicht, Gedanken machen, wie sich die Lücke im Bücherregal schließen lässt."

Das Lama schüttelt den Kopf und sucht in der Schublade nach der DVD mit dem Kaminfeuer.

"Hat Dir schon mal jemand gesagt, dass Deine Erziehungsmethoden echt finsterstes Mittelalter sind, Alter?"

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