"Es war einmal ein Lama von geringem Verstand. Und nachdem dieses Lama sieben Jahre bei Herrn Müller in der Lehre gewesen war – als Bettvorleger oder so – da schickte der Herr Müller das Tier zurück zu seiner Mutter nach Hause, nicht ohne es zuvor mit einem großen Klumpen Gold für seine treuen Dienste zu entlohnen."
Heimlich schiele ich zu dem Lama hinüber und versuche herauszufinden, ob von seiner Seite irgendwelche Störungen zu erwarten sind. Doch das Tier ist heute verdächtig still. Es beißt sich leicht auf die Unterlippe und lässt die Augen auffällig unauffällig im Wohnzimmer umherwandern.
"Und so machte sich das Lama zu Fuß auf die Sohlen und wanderte in Richtung Heimat. Doch schon nach wenigen Kilometern wurde der Goldklumpen schwer und schwerer und das Lama mochte ihn gar nicht mehr tragen.
Da kam ein Reiter auf einem Pferd des Weges. Und das Lama beneidete ihn, dass er nicht selber laufen musste. Und so tauschte es seinen Goldklumpen gegen das Pferd und ritt weiter in Richtung Heimat, froh und glücklich die schwere Last endlich los zu sein."
"Ein Lama?" fragt das Lama leise. "Reitet auf einem Pferd?"
"Wie bitte?"
"Nichts, nichts. Erzähl einfach weiter."
"Doch das Pferd war ein scheues und schreckhaftes Tier und warf das Lama ein ums andere Mal ab. Und wie das Tier wieder einmal durchging und das Lama fluchend hinterdrein lief, es wieder einzufangen, da stoppte es ein Bauer, der gerade seine Kuh zum Markte trieb.
Was ist eine Kuh doch besser als ein wildes Pferd, dachte sich das Lama. Man kann gemächlich hinterdrein laufen, wird nicht abgeworfen und hat immer Milch und Käse, wenn einem danach verlangt."
"Welchem Lama verlangt es schon nach Milch und Käse?" murmelt das Lama. "Wir leiden doch alle an Laktose-Intoleranz!"
"Und so tauschte das Lama das Pferd gegen die Kuh und wanderte weiter. Doch als sich das Tier zum ersten Mal ein Schälchen Milch melken wollte, wurde es gewahr, dass es gar nicht melken konnte und wurde noch dazu, als es am Euter der Kuh herumfuhrwerkte, von dieser vor den Kopf getreten.
Dies sah ein Metzger, der gerade mit einem Schwein des Weges kam. Diese Kuh sei zu alt zum Melken, sagte der Metzger. Die eigne sich höchstens noch zum Ziehen eines Karren oder zum Schlachten. Da nun aber das Lama kein Rindfleisch mochte und ihm schon allein beim Anblick des Schweinchens das Wasser im Munde zusammenlief, tauschten die beiden Kuh und Schwein und gingen ihrer Wege."
Unruhe auf Seiten des Lamas. Es sei Vegetarier, wenn nicht gar Veganer, grummelt es, und möge weder Rind- noch Schweinefleisch.
"Und wie das Lama mit seinem Schwein so wanderte, da traf es einen jungen Burschen, der eine fette, weiße Gans unter dem Arm trug, und sie teilten sich in den Weg. Und wie das Lama dem Burschen von seiner Reise erzählte, wie viel Glück es schon mit seinen Tauschgeschäften gehabt hatte, und von seinem Plan, das Schwein erst einmal einen ganzen Stall voll Ferkel haben zu lassen und es dann zu schlachten und zu Wurst und Fleisch zu verarbeiten, da meinte der Bursche, das Schweinchen sei ein Eber, könne also keine Ferkel haben, und außerdem sei es wohl im vorherigen Dorf gestohlen worden, durch das er gekommen sei.
Da bekam es das Lama mit der Angst zu tun und fragte den Burschen, was es nun tun solle, schließlich wolle es nicht von den Leuten aus dem Dorf verfolgt und mit dem Diebesgut erwischt werden. Da meinte der Bursche, er würde das Risiko eingehen, dem Lama die Gans lassen und mit dem Schweinchen weiterziehen. Gesagt getan, und schon bog der Bursche mit dem fetten Eber in einen Seitenweg ab."
"Wie war das mit dem Lama und dem geringen Verstand?" knurrt das Lama.
"Und wie das Lama noch überlegte, wie stolz seine Mutter auf es sein würde, weil es so geschickt und schlau im Tauschen war, da kam es durch das letzte Dorf vor dem seiner Mutter und traf dort einen Scherenschleifer, der vor dem Gasthaus auf Kundschaft wartete.
Wie der Schleifer die schöne Gans erblickte, so fragte er, wo das Lama sie gekauft haben mochte.
'Die habe ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.'
'Und das Schwein?'
'Das habe ich für eine Kuh gekriegt.'
'Und die Kuh?'
'Die habe ich für ein Pferd bekommen.'
'Und das Pferd?'
'Dafür habe ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.'
'Und das Gold?'
'Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst beim Herrn Müller.'
Der Schleifer fasste sich an den Kopf, lobte aber das Lama für sein Glück und seinen Verstand. Doch was es mit einer einzigen Gans wolle, fragte er es, wenn es sich bald einen ganzen Stall voll leisten könne. Dazu bräuchte es nur die Gans gegen seinen Wetzstein einzutauschen und schon bald würde es das Glück in Form von Münzen in seine Tasche springen hören.
Das Lama besann sich, übergab dem Scherenschleifer die Gans, und machte sich mit dem Wetzstein auf den Schultern wieder auf dem Heimweg. Doch schon bald drückte es der Wetzstein noch schlimmer als der Goldklumpen ganz zu Anfang seiner Reise. Und weil es ein arger Durst befiel hielt es auf freier Strecke an einem gemauerten Feldbrunnen an. Den Wetzstein legte es neben sich auf das Mäuerchen, doch als es sich zum Trinken hinabbeugte, stieß es den Stein an, dieser fiel in den Brunnen und versank auf Nimmerwiedersehen in der Tiefe.
Und was tat das Tier? Grämte es sich ob des Verlustes? Nein, es hüpfte und sprang vor Freude über sich und sein Glück.
'So glücklich wie ich', rief es aus, 'gibt es kein Tier unter der Sonne.'
Und mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang es nun fort, bis es daheim bei seiner Mutter war."
"ARRRRRGH!" schreit das Lama auf. "Was sollte das denn? Welches Lama wäre jemals so dumm gewesen, freiwillig auf die sicherste Geldanlage der Welt zu verzichten und sich dann darüber zu freuen, am Ende mit absolut nichts dazustehen? Für wie dämlich hältst Du mich und meine Art?"
Mit gesenktem Kopf kommt es auf mich zu und blinzelt mich wütend an.
"Wenn Du mir jemals wieder so einen langen, gequirlten Schmarrn von Geschichte vorsetzt, dann…", knurrt es, "dann… dann… SPUCKE ICH!"
"Uhu!" sage ich und ruderte mit den Händen in der Luft. "Jetzt habe ich aber Angst!"
Und obwohl es wie ein Scherz klingen soll, ist doch viel zu viel Wahrheit dabei.
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