Vierzehnter Stock
Er ist ein Mann Mitte vierzig mit einem zotteligen, dunklen Bart mit grauen Strähnen, der aussieht, als wäre er in erstaunlich kurzer Zeit sehr lang gewachsen. Mit dem irren und gehetzten Blick eines Alkoholikers oder sonstigen Süchtigen schaut er immer wieder über meine Schulter ins Treppenhaus, als er mich in seine Wohnung lässt.
Sein Name ist Doktor Jack Shepard, und irgendjemand sagte mir, er sei Wirbelsäulenchirurg. Nur lasse man ihn in letzter Zeit nicht mehr auf Patienten los, egal wie gut er zuvor gewesen sei. Wenn ich ihn mir so betrachte, verstehe ich auch langsam, warum. Es scheint ihm schwer zu fallen, einen bestimmten Punkt mit den Augen zu fixieren. Sein Blick wandert in beunruhigender Geschwindigkeit kreuz und quer durch den Raum. Seine Hände zittern, während er sie unentwegt ineinander wringt. Nicht auszudenken, was mit einem Patienten auf dem Operationstisch geschehen würde, würde er versuchen ihn in seinem derzeitigen Zustand zu operieren.
"Gut! Gut!" murmelt er. "Sie hatte ich nicht erwartet. Sie gehören nicht dazu. Sie sind kein Kandidat." Er trägt eine fleckige Hose und nur ein schmuddeliges Feinrippunterhemd, das eine Tätowierung auf seinem linken Oberarm sichtbar macht, und ein Pflaster auf der Stirn. War er nicht die Tage in den Nachrichten, weil er einer Frau und ihrem Sohn in einem Verkehrsunfall zur Hilfe gekommen war? Ich frage mich, wie er das gemacht hat in seinem desolaten Zustand.
Die Wohnung ist ein einziges Chaos. Der Fußboden ist übersät von leeren oder halbleeren Flaschen, von Karten mit Flugrouten, Zeitungsausschnitten und anderen Papierstapeln. "Ich kann keinen Besuch gebrauchen", murmelt er und kaut auf dem Knöchel seines rechten Mittelfingers herum. "Ich brauche Hurley und Sayid, Sawyer und Kate und Jin und Sun und John Locke. Wir müssen alle in ein Flugzeug, und dieser Lapidus muss es fliegen."
Er reißt ein Poster mit einer Palmeninsel und einem langen, weißen Sandstrand von der Wand. "Wir müssen zurück, verstehen Sie?" Er wedelt mit dem Poster oder dessen Fetzen vor meinem Gesicht herum. "James und Jin sollten nicht einmal hier sein. Sie gehörten ursprünglich nicht zu den Oceanic 6. Das ist alles falsch. Alles vollkommen falsch!" Er sitzt jetzt in einem Sessel, die Arme vor der Brust gekreuzt und krallt sich mit den Fingern der einen Hand in den jeweils gegenüberliegenden Unterarm. Dazu wippt er schnell und hektisch vor und zurück.
"Ich muss Kate sagen, dass Aaron nicht ihr Sohn ist. Dass wir einen Fehler gemacht haben. Dass wir niemals hätten gehen dürfen! Aber sie will nicht mit mir reden. Sie legt immer wieder auf. Aber ich habe es satt zu lügen!" Er springt auf und tritt einige Flaschen und Papiere quer durch den Raum. "Wie soll ich die Welt retten, wenn ich nicht zurück kann? Wie soll ich mich freiwillig für eine Aufgabe entscheiden, wenn ich nicht auf der Insel bin und Jacob sie mir nicht anbieten kann?"
Ich schüttele nur verwirrt den Kopf. Selbst, wenn ich es wollte, ich könnte ihm seine Fragen nicht beantworten, weil ich nicht die leiseste Ahnung habe, wovon er überhaupt spricht. War es Hurley, also Hugo Reyes, der ihn einen schrägen Vogel genannt hat? Dieser Typ ist mehr als schräg, vielleicht ein Fall für die Klapsmühle. Langsam und unauffällig bewege ich mich in Richtung Tür, versuche dabei aber verständnisvoll und freundlich zu lächeln.
"Ich will wieder abstürzen, verstehen Sie? Ich bete, dass ich wieder zurück kann. Wir hätten niemals gehen dürfen!" Ich nicke und lächele weiter mein falsches Haifischgrinsen und atme erst wieder, als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt. Was war das nun wieder?
Von drinnen höre ich Jack Shepard schreien: "Wir müssen wieder zurück, Kate! Wir müssen wieder zurück!"
No comments:
Post a Comment