Elfter Stock rechts
Die Begegnung heute ist das Seltsamste, das ich seit langer, langer Zeit erlebe, und sie wird mir lange, lange Zeit in Erinnerung bleiben und mich beschäftigen. Außerdem lässt sie mich an meinem Verstand zweifeln und in mir die Frage aufkommen, ob es Bromford und das Haus in der Whitaker Lane 666 wirklich gibt.
Sein Name ist Thore Christian, und obwohl die Namen in genau dieser Reihenfolge auf dem Türschild stehen, frage ich mich, welches der Vor- und welches der Nachname sein mag. Und der Name bringt eine Seite in mir zum Klingen, beschwört Erinnerungen herauf. Woher kenne ich diesen Namen? Was daran ist mir so vertraut?
Als er auf mein Klingeln hin die Tür öffnet, erstarre ich zur Salzsäule. Zuerst glaube ich in einen Spiegel an der Wand des Flures von Apartment 18 zu blicken. Vor mir, im Inneren und Halbdunkel dieser Wohnung stehe … ich! Ich trage dieselbe Kleidung, Jeans und Sweatshirt. Gesicht, Haare, Augen haben dieselbe Farbe. Die Haare sind, wie bei mir, eine Spur zu lang und könnten mal wieder einen Friseur-Besuch vertragen. Und wir beide – ich und ich – sagen kein Wort.
Doch dieses Spiegelbild bin nicht ich, ist ein von mir unabhängig lebendes und handelndes Wesen. Thore Christian muss diese unglaubliche Ähnlichkeit genau wie ich bemerkt haben. Er scheint genauso erschüttert über diese verstörende und beunruhigende Begegnung zu sein wie ich. Hält sich noch immer die Sage, das Sprichwort, dass jeder Mensch irgendwo auf diesem Planeten, auf dieser Welt seinen Doppelgänger hat, seinen, manchmal nur charakterlichen Zwilling? Aber in der gleichen Stadt? Verdammt noch mal, im gleichen Haus? Und wer weiß, wie lange wir hier schon unter einem Dach wohnen, ohne dass wir uns jemals begegnet sind!? Schon seit meinem Einzug?
Thore oder Christian, also Thore Christian, wendet den Blick von mir ab. Er schüttelt ungläubig den Kopf und hebt abwehrend und abwinkend die Hände. Seine Lippen klappen stumm und wortlos auf und zu, dann schließt er hastig die Wohnungstür direkt vor meiner Nase. Ich kann deutlich hören, wie diverse Schlösser abgesperrt, ein Riegel und schließlich noch eine Kette vorgelegt werden.
Mit klopfendem Herzen und vor Verwirrung schmerzendem Kopf trotte ich zurück in Richtung Fahrstuhl. Barbara und Ringo kommen, wie immer händchenhaltend und schmusend, aus Apartment 17, aber ich beachte sie und ihren Gruß kaum. Stattdessen lausche ich der Stimme des Blogkommenterroristen in meinem Kopf, die zwitschernd und zischend raunt und flüstert: "Vielleicht ist das der Frank, Bromford Bibble, den niemand Bromford Bibble nennen sollte! Es wird mal wieder Zeit für Deine Tabletten, mein Freund! Erst recht und gerade an den Feiertagen!"
Als ich einige Stunden später noch einmal an der Tür von Apartment 18 klingeln oder klopfen will, um näheres über dessen Bewohner herauszufinden und zu erfahren, ist das Namensschild "Thore Christian" abgeschraubt und stattdessen verkündet eine Botschaft mit Filzstift auf einfacher Pappe geschrieben: "Apartment zu verkaufen".
Das nenne ich vorauseilenden Gehorsam, mein hochverehrter Herr Bibble!
ReplyDeleteFrage mich seit Tagen, was das hier nun schon wieder soll.
Manche Medikamente sollte niemand verschmähen.
Flieg' nicht zu hoch, mein kleiner Freund. Aber auch nicht zu tief über das Kuckucksnest.
Oh, der Blogkommenterrorist ist wieder unterwegs...
ReplyDeleteIch finde diese Geschichten all der Bewohner sehr schön. (Und ja, ich geh schon zurück an die Arbeit)