Friday, December 10, 2010

Apartment 10

Fünfter Stock rechts

Das Klavier! Das Klavier! Ein Klavier! Ein Klavier!

John Harrison, zweiter Teil der "Buggles", brüllt gerade jemanden im Apartment hinter sich an, als er mir die Tür öffnet. "Bromford, komm' doch rein!" schreit er mich an, weil er vergessen hat, seinen Ton von "Streit" auf "Besuch empfangen" und "freundlich" umzustellen. "Willst Du ein Bier?" Noch immer in der gleichen Lautstärke. Und bevor ich widersprechen oder zustimmen kann, fliegt mir auch schon eine gekühlte Büchse aus der Küche entgegen. Ich fange sie auf und werde ins Wohnzimmer geschoben. "Trink'! Solange noch was da ist!"

Er schließt die Wohnzimmertür hinter sich, als er auf den Flur hinausgeht, um seinen Streit zu beenden. Ich kann noch zwei andere, männliche Stimmen hören, während die Worte und Fetzen fliegen. Worum es in diesem Streit geht, höre ich nicht heraus. Dann knallt die Wohnungstür ins Schloss, und es ist still.

"Schmarotzer sind das!" poltert John, als er wieder ins Wohnzimmer zurückkommt, nun ebenfalls mit einem Bier ausgerüstet. Wir stoßen an und prosten uns zu. "Undankbares Pack! Da ernährt man sie über dreißig Jahre lang und bekommt dafür nichts als Frechheiten an den Kopf geworfen. Schlimmer noch als ihre Mütter. Undank ist der Welten Lohn…"

Er stürzt das Bier in einem Zug hinunter und drückt die Dose auf dem Wohnzimmertisch zusammen. Dann springt er ans Klavier und drischt die Eröffnungsklänge von Beethovens 5. Symphonie in die Tasten. Sein langes, graues Haar flattert dabei beinahe beängstigend hinter seinem Rücken.

Gestritten hat er mit seinen beiden Söhnen, Julian aus seiner ersten Ehe mit Cynthia und Sean Taro aus seiner zweiten Ehe mit Yoko. Beide Ehen sind geschieden, beide Ehefrauen lange über alle Berge, aber die beiden erwachsenen Söhne, beide um die dreißig Jahre alt, wohnen noch immer bei ihrem alten Herrn und machen auch keine Anstalten auszuziehen.

"Manchmal", John schmeißt sich erschöpft nach dem Streit und dem musikalischen Ausbruch neben mich auf das Sofa, "habe ich das Gefühl, als wäre ich am 08. Dezember 1980 vor meiner Wohnung in New York erschossen worden, wenn Du verstehst, was ich meine. Ich weiß gerade auch nicht warum." Dann klopft er sich klatschend auf die Schenkel, springt wieder auf und geht in die Küche, um seine letzten Bierreserven zusammenzukratzen.

Wir kippen eins nach dem anderen. Irgendwann lallt er mit schon leicht schwerer Stimme: "Weißt Du was, Bromford Bibble? Du solltest mein Sohn sein, nicht diese Hansels mit den Schlüsseln für meine Wohnung!" Wir sehen uns kurz an, brechen in lautes, sinnloses Gelächter aus, dann trinken wir weiter, bis das Bier alle und es Zeit für mich ist, nach Hause zu gehen.

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