Zehnter Stock links
Seine Brille sieht irgendwie zusammengesetzt und geflickt aus, so als hätte man zwei Sehhilfen in der Mitte auseinandergenommen und dann zwei unterschiedliche Hälften miteinander verschweißt oder geklebt. Das linke Glas ist größer als das rechte und die Plastikbügel und das Gestell haben verschiedene Farben und Muster.
Als er mir die Tür öffnet, hält er eine zerfledderte Taschenbuchausgabe von Mark Twains "Tom Sawyer" in den Händen. "Lesen Sie?" fragt er mich unvermittelt und hält mir das Buch unter die Nase. "Ist eines meiner Lieblingsbücher", sagt er dann, "aber ich lese eigentlich erst seit einem längeren Aufenthalt auf einer verlassenen Insel."
Er bittet mich herein. Bevor er in der Küche verschwindet, um uns Kaffee zu machen, legt er den "Sawyer" zu einem ganzen Stapel anderer Bücher. Sie sehen alle nicht neu aus. Manchen fehlt der ganze äußere Einband. Einige sehen aufgequollen aus, als hätten sie längere Zeit im Wasser gelegen. Lediglich bei zweien der Bücher kann ich Titel und Autor erkennen: "Unten am Fluss - Watership Down" von Richard Adams mit dem Bild eines Kaninchens auf dem Umschlag und "Of Mice And Men" von John Steinbeck.
Sein Name ist James Ford, und bis auf die eigenartige Lesebrille Marke Eigenbau sieht nichts an ihm wie eine Leseratte aus. Er hat einen großen, durchtrainierten Körper unter seinen Jeans und Schlabbershirts. Seine Haare sind lang und von der Sonne gebleicht. Er ist braungebrannt und stoppelig unrasiert. Er ist garantiert kein Akademiker oder Bürotyp. Aber da ist ein Blick in seinen hellen Augen, lauernd und immer bereit, jede sich ihm bietende Gelegenheit zu ergreifen, die mich bei ihm auf unerklärliche Weise an einen Vertreter denken lässt, der einem alles, aber auch wirklich alles verkaufen könnte.
Er kommt mit zwei dampfenden Tassen Kaffee zurück. Er erzählt von einer Flugreise mit merkwürdigen Begegnungen und Menschen, von der er beinahe nicht zurückgekommen wäre. Und er erzählt davon, dass er nicht genau sagen könne, wie lange diese Reise gedauert hätte.
Dann erzählt er von seinen irakischen Nachbarn aus Apartment 16 und davon, dass sie ihm verdammt bekannt vorkommen. Seien bestimmt Kriegsverbrecher oder islamistische Terroristen die beiden oder beides.
Dann wechselt er abrupt das Thema. "Von Menschen und Mäusen" von Steinbeck sei sein Lieblingsbuch, sagt er. Besonders gefallen habe ihm die Schlussszene, in der George seinen geistig zurückgebliebenen und überstarken Kumpel Lennie erschießt, um ihm weitere Qualen zu ersparen. Er könnte verstehen und nachvollziehen, warum George das getan habe, sagt er.
"Wusstest Du eigentlich, dass Mark Twain in Wirklichkeit Samuel Langhorne Clemens hieß?" fragt er dann plötzlich und setzt die zusammengesetzte Brille wieder auf. "Es ist schon komisch mit diesen Pseudonymen. Manchmal merkt man sie sich eher als die wirklichen Namen, und sie halten besser und länger. Wenn man bedenkt, dass ich bis vor meiner Reise nur Briefe gelesen habe, und zwar meistens einen ganz bestimmten, den ich seit meiner Kindheit mit mir herumtrage, und das immer und immer wieder und wieder."
Dann verabschiedet er mich plötzlich, wiederum etwas überraschend. Ich sei immer gern als Besuch willkommen, meint er noch, wenn ich vorher kurz durchrufen würde. Dann steckt er mir noch seine Visitenkarte zu, mit dem Vorschlag, mir doch einmal Gedanken über mein Vermögen zu machen und ihn anzurufen, sollte ich etwas Geld gewinnbringend anlegen wollen.
Zuhause in meinem Penthouse schaue ich mir die Karte genauer an. Sie ist schlicht gehalten. Adresse und Telefonnummer in schwarzer, schnörkelloser Schrift auf weißem Grund am oberen Rand, dann mittig in größerer Schrift sein Name "James Ford". Darunter zentriert steht "Anlageberater". Und ganz am unteren Rand steht sehr kleingedruckt in Anführungszeichen ein weiterer Name: "Sawyer".
Seine Brille sieht irgendwie zusammengesetzt und geflickt aus, so als hätte man zwei Sehhilfen in der Mitte auseinandergenommen und dann zwei unterschiedliche Hälften miteinander verschweißt oder geklebt. Das linke Glas ist größer als das rechte und die Plastikbügel und das Gestell haben verschiedene Farben und Muster.
Als er mir die Tür öffnet, hält er eine zerfledderte Taschenbuchausgabe von Mark Twains "Tom Sawyer" in den Händen. "Lesen Sie?" fragt er mich unvermittelt und hält mir das Buch unter die Nase. "Ist eines meiner Lieblingsbücher", sagt er dann, "aber ich lese eigentlich erst seit einem längeren Aufenthalt auf einer verlassenen Insel."
Er bittet mich herein. Bevor er in der Küche verschwindet, um uns Kaffee zu machen, legt er den "Sawyer" zu einem ganzen Stapel anderer Bücher. Sie sehen alle nicht neu aus. Manchen fehlt der ganze äußere Einband. Einige sehen aufgequollen aus, als hätten sie längere Zeit im Wasser gelegen. Lediglich bei zweien der Bücher kann ich Titel und Autor erkennen: "Unten am Fluss - Watership Down" von Richard Adams mit dem Bild eines Kaninchens auf dem Umschlag und "Of Mice And Men" von John Steinbeck.
Sein Name ist James Ford, und bis auf die eigenartige Lesebrille Marke Eigenbau sieht nichts an ihm wie eine Leseratte aus. Er hat einen großen, durchtrainierten Körper unter seinen Jeans und Schlabbershirts. Seine Haare sind lang und von der Sonne gebleicht. Er ist braungebrannt und stoppelig unrasiert. Er ist garantiert kein Akademiker oder Bürotyp. Aber da ist ein Blick in seinen hellen Augen, lauernd und immer bereit, jede sich ihm bietende Gelegenheit zu ergreifen, die mich bei ihm auf unerklärliche Weise an einen Vertreter denken lässt, der einem alles, aber auch wirklich alles verkaufen könnte.
Er kommt mit zwei dampfenden Tassen Kaffee zurück. Er erzählt von einer Flugreise mit merkwürdigen Begegnungen und Menschen, von der er beinahe nicht zurückgekommen wäre. Und er erzählt davon, dass er nicht genau sagen könne, wie lange diese Reise gedauert hätte.
Dann erzählt er von seinen irakischen Nachbarn aus Apartment 16 und davon, dass sie ihm verdammt bekannt vorkommen. Seien bestimmt Kriegsverbrecher oder islamistische Terroristen die beiden oder beides.
Dann wechselt er abrupt das Thema. "Von Menschen und Mäusen" von Steinbeck sei sein Lieblingsbuch, sagt er. Besonders gefallen habe ihm die Schlussszene, in der George seinen geistig zurückgebliebenen und überstarken Kumpel Lennie erschießt, um ihm weitere Qualen zu ersparen. Er könnte verstehen und nachvollziehen, warum George das getan habe, sagt er.
"Wusstest Du eigentlich, dass Mark Twain in Wirklichkeit Samuel Langhorne Clemens hieß?" fragt er dann plötzlich und setzt die zusammengesetzte Brille wieder auf. "Es ist schon komisch mit diesen Pseudonymen. Manchmal merkt man sie sich eher als die wirklichen Namen, und sie halten besser und länger. Wenn man bedenkt, dass ich bis vor meiner Reise nur Briefe gelesen habe, und zwar meistens einen ganz bestimmten, den ich seit meiner Kindheit mit mir herumtrage, und das immer und immer wieder und wieder."
Dann verabschiedet er mich plötzlich, wiederum etwas überraschend. Ich sei immer gern als Besuch willkommen, meint er noch, wenn ich vorher kurz durchrufen würde. Dann steckt er mir noch seine Visitenkarte zu, mit dem Vorschlag, mir doch einmal Gedanken über mein Vermögen zu machen und ihn anzurufen, sollte ich etwas Geld gewinnbringend anlegen wollen.
Zuhause in meinem Penthouse schaue ich mir die Karte genauer an. Sie ist schlicht gehalten. Adresse und Telefonnummer in schwarzer, schnörkelloser Schrift auf weißem Grund am oberen Rand, dann mittig in größerer Schrift sein Name "James Ford". Darunter zentriert steht "Anlageberater". Und ganz am unteren Rand steht sehr kleingedruckt in Anführungszeichen ein weiterer Name: "Sawyer".
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