Tuesday, December 21, 2010

Apartment 21

Dreizehnter Stock links

Über meine Begegnung mit dem Bewohner von Apartment 21 und seine Damenbekanntschaft berichte ich in Kürze. Versprochen...

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Er möchte nicht, dass ich seinen Namen hier veröffentliche. Also nennen wir ihn kurz und knapp Harrod W. Er ist in seinen Vierzigern und Erbe einer weltweiten Kette von Nobelkaufhäusern, die sein Vater nach dem Ende des letzten Weltkrieges aufgebaut hat. Er ist Teil einer Promi- und Jet-Set-Welt, bekannt aus diversen Hochglanzmagazinen, mit Kontakten und verflossenen Liebschaften in der High-Society bis tief hinein ins Königshaus.

Stellt Euch meine Verblüffung vor, als ausgerechnet dieser weltbekannte Playboy mir die Tür zu Apartment 21 öffnet. Gibt es in diesem Haus denn nur Lottogewinner und Millionenerben? Auch wenn Sir Nicolas de Noelle aus Apartment 6 der Meinung ist, dass diese Wohngegend langsam aber sicher den Bach runter geht, so muss doch etwas dran sein, wenn jemand vom Kaliber eines Harrod W. hier wohnt, denn wie wir bereits erfahren haben, sind alle Wohnungen in der Whitaker Lane 666 Eigentum ihrer Besitzer. Mieter gibt es hier nicht.

Aber was sagt das über mich aus? Bin ich Eigentümer des Hauses, des Penthouses auf dem Dach? Wie kann ich mir das nur leisten? Woher kommt das Geld? Habe ich einen Job? Ich verlasse jeden Morgen das Haus und komme gegen Abend wieder hierher zurück. Deutet das auf eine regelmäßige und lukrative Arbeit hin?

Harrod W. raucht eine Zigarre und hält ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand. Was ist es? Whisky? Whiskey? Oder Scotch? Und zu welcher Kategorie gehört Scotch? Ich denke, Scotch ist ein Whisky, denn wie bei den amerikanischen Sorten schreibt sich dieses alkoholische Getränk "Whisky", wenn es aus Schottland kommt und "Whiskey", wenn es in Irland oder Kanada hergestellt wurde. Gibt es noch andere Länder, in denen dieser Alkohol hergestellt wird? Ich weiß es nicht und verstehe nicht, was mich zu diesen Überlegungen treibt.

"Ich weiß nicht, was mich ausgerechnet hierher verschlagen hat!" sagt Harrod W. und schwenkt die Flüssigkeit in seinem Glas. Ist Cognac vielleicht französischer Whisky oder Whiskey? "Diese Wohnung ist selbstverständlich gar nichts im Vergleich zu meiner Villa in Marbella! Ja, selbst meine Skihütte in den Schweizer Alpen ist größer als dieses Loch hier!" Ja, was macht er hier, wenn ihm das Apartment nicht gefällt und viel zu klein ist?

In diesem Moment öffnet sich die Badezimmertür, und mir fällt auf, dass das Rauschen, das ich gehört habe, seit Harrod mich hereingelassen hat, verstummt ist und wohl die Dusche gewesen sein muss. In den Wohnbereich tritt eine halbnackte Frau, gewickelt in ein knappes Handtuch, während sie sich mit einem zweiten die mausgrauen Haare trocken rubbelt. "Wann bist Du wieder in der Stadt, Süßer?" fragt sie und wirft ihr noch immer feuchtes Haar zurück in den Nacken. Sie scheint keine Ahnung zu haben, dass ich da bin.

Und kaum hat sie das Handtuch vom Gesicht genommen, erkenne ich sie. Es ist Samantha Somerhalder, die strenge und korrekte Grundschullehrerin aus dem vierten Stock, nur wirkt sie in diesem Moment weniger korrekt und streng, vielmehr mehr als peinlich berührt. Ob wegen ihrer Halbnacktheit oder aus einem anderen Grund vermag ich nicht zu sagen. Sie stammelt einige unverständliche Worte und verschwindet wieder im Badezimmer.

Ist das der Grund, weshalb Harrod, der notorische Globetrotter und Jet-Setter, in dieser Gegend Bromfords eine Wohnung besitzt? Um eine Affäre mit einer gleichaltrigen Lehrerin zu verheimlichen? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Sie ist nicht verheiratet, soweit ich weiß, und auch er ist nicht gebunden. Das hätte ich sonst sicher schon aus den berüchtigten Zeitungen beim Friseur oder Zahnarzt erfahren. Warum also scheint es ihr so peinlich zu sein, dass ich sie hier zusammen sehe?

Harrod prostet und zwinkert mir zu. "Manchmal sind die Dinge genau das, was sie zu sein scheinen. Und sie ist es, die will, dass unser Verhältnis geheim bleibt!" – "Ganz richtig!" verkündet Samantha von der Badezimmertür aus. Sie trägt jetzt wieder eines ihrer schlichten und unauffälligen Kostüme und eine steife Hochsteckfrisur, was sie schlagartig um Jahre älter macht. Sie schreitet an mir und Harrod vorbei in Richtung Wohnungstür.

Er springt auf und hält sie kurz fest. Als er sie zum Abschied küssen will und einen Satz beginnt – "Ich liebe…" – legt sie ihm einen drohenden Zeigefinger auf die Lippen. "Du kennst die Abmachung!" sagt sie und schüttelt ohne Gesichtsausdruck den Kopf.

In der Tür dreht sie sich noch einmal zu mir um. "Mister Bibble!" sagt sie. "Die Einladung zum Krippenspiel steht!" Dann ist sie verschwunden. "Verstehe einer die Frauen!" spricht Harrod W. ein uraltes Klischee gelassen aus und schenkt sich noch mehr Whisky, Whiskey oder Cognac nach.

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