Wer hätte gedacht, dass der Keller im Haus der Whitaker Lane 666 aus lauter Löchern besteht?
"Löcher, was denn für Löcher?" fragt das Lama.
"Ach", sage ich, "ich habe nur laut nachgedacht. Und das wäre der Ansatz für eine längere und irgendwie völlig andere Geschichte gewesen, die ich für den BlogBlock und die Adventszeit geplant hatte, aber irgendwie entwickelt sich das hier gerade in eine ganz andere Richtung. Irgendwie."
"Aha", sagt das Lama und verzieht säuerlich das Maul.
"Wo waren wir?" frage ich.
"Du, mit einem Korb voller Schmutzwäsche, auf dem Weg in die Waschküche im Keller", fasst das Lama zusammen. "Und der Pennertyp aus Apartment 6 meinte, es brennt Licht in unserem Kellerabteil."
"Sir Nicolas de Noelle ist kein Pennertyp!" protestiere ich.
"Er rasiert und wäscht sich nie", beharrt das Lama, "und trägt immer den gleichen, roten Bademantel. Wenn Du mich fragst, hat er etwas von einem Penner an sich. Obwohl er neulich an der Fleischtheke des Markendiscounters stand und der kleine Junge meinte, er solle nicht so viel einkaufen, sonst würde er zu dick und nicht mehr durch den Schornstein passen."
Ich ignoriere das Tier.
"Nachdem ich also den vollen Wäschekorb in der Waschküche abgestellt hatte, machte ich mich vorsichtig auf den Weg ganz ans Ende des Kellergangs zu unserem mit Holzgittern abgetrennten Kellerabteil.
Du erinnerst Dich? Da hattest Du Dich mal wochenlang versteckt, um mir vorzugaukeln, Du wärst auf Weltreise."
Das Lama brummt.
"Mit Fotoleinwänden von allen möglichen Sehenswürdigkeiten. Und dann hast Du Selfies von Dir geknipst und mir all diese Fotopostkarten geschickt."
"Du musst nun aber auch nicht drauf rumreiten!" verlangt das Tier.
Also fahre ich fort: "Und da brannte tatsächlich Licht. Es war eine einzelne, flackernde Kerze an einem Adventskranz genau im Zentrum des Kellerabteils."
"Ein unbeaufsichtigtes, offenes Feuer?" Das Lama klingt alarmiert. Fast so schrill wie eine Feuersirene.
"Das tut hier nichts zur Sache!" sage ich schnell. "Wenn es Dich beruhigt, dann war es eben eine elektrische Kerze oder noch besser eine LED-Leuchte. Jedenfalls wollte ich den Adventskranz aufheben und vielleicht als Deko mit ins Penthouse bringen, und da trat ich in eines der Löcher, aus dem das ganze Hochhaus in der Whitaker Lane 666 zu bestehen scheint."
Das Lama hält die Luft an und heuchelt gespanntes Interesse.
"Ich fiel einige Minuten lang und landete schließlich in einem riesigen, weiß-gefliesten Verlies. An der Decke hingen lange Neonröhren, die jede kleinste Ecke mit ihrem grellen Licht ausleuchteten. An einer Wand hing ein riesiger Bildschirm, auf dem nun ich zu sehen war, wie ich mich mühsam wieder auf die Beine rappelte. Ich rieb mir meinen schmerzenden Hintern und suchte die weiße Decke nach dem Loch ab, durch das ich gefallen war, aber es war verschwunden."
"Tam, Tam, Taaa!" macht das Lama einen Tusch nach. "Löcher, die verschwinden? Bei Dir piept 's wohl!?"
"Wie gesagt", sage ich, "diese Löcher sollten das ganze Haus durchziehen und an alle möglichen Orte in Raum und Zeit führen, aber das war ein alter Ansatz für diese Adventsgeschichte und das entwickelt sich hier gerade in eine ganz andere Richtung. Irgendwie."
"Bah!" pampt das Tier. "Humbug!"
"Jedenfalls", fahre ich fort, "stand vor der Wand mit dem Bildschirm ein großer, weißer Schreibtisch. Und vor dem Schreibtisch stand, mit der Kehrseite der hohen Rückenlehne zu mir, ein großer, weißer Drehsessel aus Leder auf seinem fünfstrahligen, silbernen Fuß."
"Und in dem Ledersessel", unterbricht mich das Lama, "saß der Pinguin mit einer weißen Perserkatze auf dem Schoss."
"Du bist so ein Spielverderber!" maule ich. "Spoilsport – wie der Klingone sagen würde!"
"Mach einfach weiter!" grinst das Tier.
"Der Bildschirm wurde nun ebenfalls weiß, als eine schwarze Flosse ein großes Bedienfeld mit vielen Knöpfen auf dem Schreibtisch betätigte. Der Pinguin – Ja, es ist der Pinguin, der da im Ledersessel sitzt und sich samt Sessel nun langsam und dramatisch in meine Richtung dreht. – gab mir mit Flossenzeichen zu verstehen, dass ich näherkommen und mir eine große, weiße Karte vom Schreibtisch nehmen sollte."
"Was denn für eine Karte?" will das Lama wissen. "Eine Schatzkarte?"
"Nein, nicht sowas", sage ich. "Eine Karte mit einer Botschaft drauf war das."
"Was denn für eine Botschaft?" fragt das Lama. "Und warum sagt der Pinguin denn nichts? Wenn er Dich schon in sein Verlies lockt, warum kommuniziert er denn nicht direkt mit Dir? Ich meine, wenn er schon eine Botschaft an Dich hat, warum sagt er sie Dir dann nicht sondern schreibt sie auf eine Karte?"
"Weil", stammele ich, "es besser in die Geschichte passt, wenn der fischige Vogel vorerst nicht spricht, darum!"
"Ist mehr so James-Bond-Bösewicht-Style, wah?" fragt das Lama.
"Lama!" entfährt es mir.
"Schon gut, schon gut", sagt das Tier. "Erzähl einfach weiter."
"Ich nahm also, während ich mich noch vom überraschenden Anblick des Pinguins, eines großen Kaiser-Pinguins übrigens, erholte, vorsichtig die Karte vom Schreibtisch und las in einer schwarzen, verschnörkelten Handschrift:
Von den höchsten Höhen
bis in die tiefsten Tiefen.
Vom frostigen Dach der Welt
bis in die brodelnden Gluten des Erdmittelpunkts.
Steige ich hinab ab auf der Suche nach Bromford,
der freundlichen Stadt am Meer.
Während ich noch verwundert die Stirn runzelte, lenkte wildes Flossengetippe meinen Blick auf den großen Bildschirm an der Wand, auf dem jetzt Buchstaben und Wörter zu lesen waren.
'Karte umdrehen', hatte der Pinguin geschrieben und, 'diese Botschaft gehörte zu einem alten Ansatz für diese Adventsgeschichte. Irgendwas mit einer epischen Suche und den vier Elementen und den vier Himmelsrichtungen und den vier Adventssonntagen, aber das entwickelt sich hier ja gerade in eine ganz andere Richtung. Irgendwie.'"
Das Lama stöhnt gequält auf.
"Und?" fragt es augendrehend. "Was stand auf der Rückseite der Karte."
"Da stand", sage ich und versuche nicht länger, spannende oder geheimnisvolle Pausen in meine Erzählung einzubauen,
"Das Geheimnis von Bromford wird enthüllt werden."
"Ui! Ui! Ui!" sagt das Lama. "Und was ist das Geheimnis von Bromford?"
"Ich habe nicht den blassesten Schimmer", sage ich.
"Und wie bist Du wieder aus dem Verlies herausgekommen?" fragt das Tier.
"Ich habe nicht den blassesten Schimmer", sage ich.
"Handlungsloch!" beschwert sich das Tier.
"Manneh!" fluche ich. "Muss man Dir denn immer alles erklären? Dann war es eben so:
Kaum hatte ich die Nachricht auf der Rückseite der Karte gelesen, sprang mir ein weißes Fellknäuel gegen die Brust und brachte mich zu Fall. Ich landete unsanft auf meinem Kopf und als ich wieder zu mir kam, lag ich ausgestreckt neben unserer Schmutzwäsche in der Waschküche.
Ich rannte sofort in unser Kellerabteil, aber der Adventskranz mit der feuersicheren LED-Kerze in matt-bernsteinfarben war verschwunden. Und von Löchern, einem Verlies oder einem Pinguin konnte ich keine Spur entdecken."
"So, so", sagt das Lama. "Es geht also um das Geheimnis von Bromford. Das Geheimnis von Bromford? Hast Du Dich niemals gefragt, warum sich in dieser Stadt ständig Realität und Illusion überlappen, Traum und Wirklichkeit verschwimmen und Lamas sprechen können?"
"Bald ist Heiligabend, da können doch angeblich alle Tiere sprechen", sage ich.
"Von mir aus", sagt das Tier. "Aber wo genau liegt eigentlich Bromford?"
"Am Meer. An einer Flussmündung. Am Hafen hinter und unter der Bromford Bridge", sage ich.
"Ja, schon klar, aber in welchem Land? Auf welchem Kontinent? Europa? Du schreibst meistens Deutsch…"
"… oder Klingonisch …"
"Nein", sagt das Lama, "selten bis nie Klingonisch. Du schreibst meistens Deutsch. Bedeutet das, dass Bromford in Deutschland liegt?"
"Bromford ist nicht von dieser Welt", sage ich.
"Auf einem anderen Planeten?" fragt das Tier. "Was wird das hier? Fantasy-Scheiß? Oder doch Science-Fiction-Scheiß?"
"Ich weiß es nicht, Lama. Ich weiß es einfach nicht."
"Ist das das Geheimnis von Bromford?"
"Das Geheimnis von Bromford wird in einundzwanzig Tagen enthüllt werden."
Und je lauter ich die Musik aufdrehe, desto leiser wird sie.