Tuesday, December 20, 2011

Five Days left to go…

Song of the Day… Twenty Years - Placebo
CD of the Day… Yes – Fragile (erworben am 20. Dezember 1994)


"Lady Hesketh-Fortescue", frage ich unsere vornehme Gastgeberin, "warum haben Sie uns zu sich gerufen?"

Wir sitzen nebeneinander in zwei gewaltigen, braunen Ledersesseln vor einem prasselnden Kaminfeuer in der Eingangshalle des Hotels "North Cothelstone Hall" auf Kirren Island, das Lama und ich.

Uns gegenüber sitzt Lady Hesketh-Fortescue, eine große, schlanke, ältere Dame um die siebzig. Das Kaminfeuer verfängt sich in ihrem weiß-blauen Haar und spiegelt sich in den Gläsern ihrer großen Brille mit Perlmuttgestell. Sie lächelt ein freudloses Lächeln, während sie nervös die lange Perlenkette an ihrem Hals durch ihre altersfleckigen Finger gleiten lässt.

"Ich bekomme seit Wochen Morddrohungen", erklärt sie mit leiser Stimme und deutet auf einen kleinen Stapel mit Papieren auf einem kleinen Tischchen neben ihrem Sessel.

Ich stehe auf und schaue mir die Drohbriefe genauer an. Das Lama schaut mir dabei über die Schultern. Das Papier selbst ist handelsübliches Kopierpapier. Der Text darauf ist jedoch nicht gedruckt sondern in einzelnen Worten und Buchstaben aus Zeitungen ausgeschnitten.

"DU BIST SOWAS VON TOT, L.H.F.!" steht auf dem Brief ganz oben auf dem Stapel.

"Es ist so furchterregend!" stöhnt Lady Hesketh-Fortescue. "Über zwei Dutzend Briefe sind es inzwischen, die überall im Hotel aufgetaucht sind. Und die grauenvollsten Todesarten werden mir darin angedroht. Von Gift im Essen ist da die Rede, von umstürzenden Bäumen und Teilen der Gebäudefassade, die mich erschlagen könnten. Das Meer sei um diese Jahreszeit stürmisch, aufgewühlt und unberechenbar, heißt es. Ich könnte das Gleichgewicht verlieren, hineinfallen und ertrinken. Ich könnte auf einer der Hoteltreppen fallen, mit dem Fahrstuhl abstürzen, an einem vergifteten Apfel ersticken oder mich im Heckenlabyrinth im Hotelpark verlaufen und verhungern. In einem Brief heißt es sogar, die Fähre könnte mich überfahren! Bitte, Mister Bibbel. Finden Sie heraus, wer mir diese Briefe schickt!"

"Welchen Grund könnte jemand haben, Ihnen Böses zu wollen, Milady?" frage ich.

"Das ist leicht!" quakt das Lama dazwischen. "Es geht um das Erbe. Da will jemand das Hotel haben und kann es nicht erwarten, dass Sie endlich ins Gras beißen! Wer sind denn Ihre Erben, wenn ich fragen darf?"

Die Lady wirkt nicht gerade amüsiert und hat ihre Lippen spitz zusammengekniffen.

"Ich fürchte, in Sachen Erbschaft sind Sie auf dem Holzweg, Herr… Herr… Herr…." Sie schaut auf eine Spielkarte, – ich glaube, es ist das Pik-Ass - , die das Lama ihr gegeben und auf die es mit schwarzem Filzschreiber seinen Namen geschrieben hat.
"Herr Kusskuss, das Erbe ist bereits seit zwanzig Jahren an meine Kinder und Verwandten verteilt. Nach dem Tod meines Mannes, Lord Hesketh-Fortescue, habe ich mich aus dem Hotelgeschäft zurückgezogen. Hotel 'North Cothelstone Hall' hier auf Kirren Island leitet mein jüngster Sohn, Meredith Hesketh-Fortescue. Er wird demnächste Priscilla Molesworth, die Cousine von Lord Molesworth-Houghton, dem Mann meiner mittleren Tochter, Gwyneth Molesworth, heiraten. Gwyneth und ihrem Mann gehört unser Hotel 'Middle Fritham' in Nether Addlethorpe."

Voller Bewunderung sehe ich ihrer Zunge dabei zu, wie sie sich nicht verknotet, als sie fortfährt:
"Mein ältester Sohn aus erster Ehe, Jasper Fetherston, und seine Ehefrau, Amelie Hollingworth, leiten und besitzen das 'Thrumpton Castle' in South Thoresby. Und dann gibt es da noch das Haus in North Thurston, in dem meine Schwägerin, Lucinda Satterthwaite, und ihr Dauerverlobter, Thomas Thatcham, schalten und walten.
Wie Sie sehen, sind alle Besitztümer, sowie auch das Barvermögen, bereits gerecht unter allen Erben aufgeteilt."

"Dann", beginnt das Lama, während es einen Brief liest, in dem man der Lady angedroht, sie in der Tiefkühlkammer erfrieren zu lassen, "trachtet Ihnen eben ein Hotelgast nach dem Leben."

Die Perlenkette klappert und rasselt nun durch beide Hände der Lady, die sie zudem nervös und ungehalten ineinander wringt.

"Aber das Hotel ist wie in jedem Winter geschlossen. Das Personal hat Urlaub, und andere Bewohner gibt es nicht auf der Insel."

"Wer außer uns dreien befindet sich denn noch auf Kirren Island, Milady?" frage ich schnell, bevor das Lama eine weitere Theorie aussprechen kann.

"Da bald Weihnachten ist…" Die Lady deutet stolz auf die festlichen Girlanden und die restliche Dekoration rings um den Kamin und im Rest der Eingangshalle. "… ist natürlich die ganze Familie in 'North Cothestone Hall' versammelt:
Mein Sohn, Meredith Hesketh-Fortescue, mit seiner Verlobten, Priscilla Molesworth, meine Tochter, Gwyneth Molesworth, mit ihrem Gatten, Lord Molesworth-Houghton, sowie mein älterer Sohn, Jasper Fetherston, mit seiner Ehefrau, Amelie Hollingworth und meine Schwägerin Lucinda Satterthwaite, mit ihrem Dauerverlobten, Thomas Thatcham."

***

Noch Stunden später, als ich mit dem Lama auf dem Balkon unseres Hotelzimmers im obersten Stockwerk stehe und mit einem Glas Whiskey in der Hand über die Bucht hinüber nach Bromford schaue, schwirrt mir der Kopf von all diesen Namen.

"Und?" frage ich. " Ist das jetzt genug Handlung für Dich?"

"Was soll das?" fragt das Lama und saugt mit seinem Strohhalm einen Eiswürfel in seinem Whiskey-Glas an. "Sind wir jetzt Bromford & Lama, das Detektivbüro? Die Zwei? Die zwei Fragezeichen? Oder die zwei Freunde? Das ist ja schlimmer als ein Schuhkrimi mit einem Stiefel als Hauptperson und Detektiv zum Nikolaustag! Außerdem…, hatten der Kling und sein kommunistisches Känguru nicht auch ein Detektivbüro, oder wenigstens mal vor, eines zu gründen?"

"Der Marc-Uwe", knurre ich, "ist mir so was von egal."

"Und was hat es mit diesem ominösen Köpenicker Känguru auf sich? Kommt das Känguru aus den Chroniken da weg, aus Köpenick?" ereifert sich das Lama.

"Nein", sage ich, "die wohnen eher in Kreuzberg oder so!"

"Egal, ob Kreuzberg oder Köpenick, Hauptsache Berlin, oder was?" meckert das Lama.

"Keine Ahnung, aber das mit dem Verhören scheinst Du schon ganz gut drauf zu haben", sage ich und weiß nicht, ob ich das wirklich ernst meine.

"Na, dann sieh mal zu, wie Du da wieder rauskommst!" verkündet das Lama.

Und erst jetzt fällt mir auf, dass es einen beige-braunen Sahnelikör auf Eis in seinem Whiskey-Glas hat, denn es pustet mit seinem Strohhalm große Blasen hinein.


"Da haben wir eine ganze Menge Kriminalfälle, Watson!" erklärte er mit boshaftem Augenzwinkern.
Sir Arthur Conan Doyle – Sherlock Holmes und Doktor Watson

No comments:

Post a Comment