Wir
sind im Keller, das Lama und ich, und beseitigen das Chaos, das wir vor zwei
Wochen, aber vor allem das Tier in den letzten fünf Monaten da unten
angerichtet hat. Gerade haben wir die Reihe von hängenden Glühbirnen im Gang ersetzt,
die das Lama eine nach der anderen mit einer selbstgebauten Zwille und Kugeln
aus getrockneten, alten Kaugummis zerschossen hat. Nun widmen wir uns schon
seit einiger Zeit der Kellerparzelle, die zum Penthouse der Whitaker Lane 666
gehört.
Die
riesigen Foto-Poster-Wände mit allen möglichen Sehenswürdigkeiten der Welt als
Motiv sind größtenteils zerstört, das Hochglanzpapier zerrissen, die Holzrahmen
gesplittert. Auf den ersten kann ich gerade noch den Fernsehturm und die
Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz und die Kremlmauer nebst Basilika am
Roten Platz in Moskau erkennen.
"Wie
bist Du nur auf so eine Schnapsidee gekommen?" frage ich kopfschüttelnd.
"Eine Weltreise vorzutäuschen und regelmäßig Postkarten zu schicken, und
dabei die ganze Zeit in Wahrheit im eigenen Keller sitzen. Ts, ts, ts!"
"Weißt
Du, Alter", plappert das Lama und wühlt dermaßen ungeschickt in den
Trümmern seiner Fotoausrüstung, dass das Chaos nur noch größer wird, "wir
zwei hatten unsere Differenzen zum Jahreswechsel. Und dann war da dieses Lied
im Radio: Udo Lindenberg sang 'Ich war noch niemals in New York'. Da erwachte
in mir das Fernweh!"
"Jürgens,
Du meinst Jürgens", bemerke ich reflexartig.
"Jenny,
die glücklose Schauspielerin, oder ihre Schwester Andrea, der singende Kinderstar? Wovon
ist denn jetzt die Rede, Alter?" Das Lama knabbert gerade den ohnehin
schon löchrigen Bezug von dem alten Sofa, das hier unten vor sich hin gammelt.
"Udo
Jürgens hat das Lied gesungen, nicht Udo Lindenberg", versuche ich zu
erklären.
"Und
was haben jetzt der alte Mann und das Fagott mit der ganzen Sache zu tun?"
meckert das Tier und trägt zwischen den Zähnen den zerstörten Scheinwerfer und
das zerbrochene Kamerastativ auf einen Haufen mit Sperrmüll.
"Manchmal
frage ich mich ernsthaft, woher Du all diese Leute und Sachen kennst",
sage ich mehr zu mir selbst.
"Man
könnte meinen, Du machst so was professionell", meint das Lama nach einer
Weile, nach der man wenigstens halbwegs wieder den Kellerboden unter dem Unrat
erkennen kann. "Bist Du von der SpuBe?"
"Von
der was?" frage ich ahnungslos.
"Na,
Du weißt schon, Alter. Diese Leute, die an einem Tatort die Spuren…"
"Du
meinst die Leute von der Spurensicherung!?" unterbreche ich.
"Nein,
wenn ich die Leute von der SpuSi gemeint hätte, dann hätte ich auch SpuSi
gesagt, nicht SpuBe. Ich meine die Leute von der Spurenbeseitigung, Alter. Sag' es
mir ehrlich, Bromford Bibble! Bist Du ein Tatortreiniger im wirklichen Leben?
Oder ein Cleaner, so wie Dennis Hopper in Pulp Fiction?"
Auf
so einen Schwachsinn will ich nicht antworten, kann ich nicht antworten. Unter
den letzten Resten der Plakatwände ziehe ich eine Übersetzung von Herman
Melvilles Roman Moby Dick hervor. Das erklärt zumindest die erste Postkarte,
die mir das Lama am 11. Januar dieses Jahres geschrieben hat.
Aber
ganz in der Ecke des Kellers kommt noch etwas zum Vorschein. Es ist die hintere
Hälfte eines Busses ohne Räder, aber dafür komplett mit Sitzreihen und
Mittelgang.
"Wie
hast Du den denn hier reinbekommen?" frage ich erstaunt und völlig ratlos,
wie wir den Schrott hier jemals wieder rausbekommen sollen.
"Weißt
Du, Quiqueg, mein Heidenfreund, das Schabrackentapir aus Wanne-Eickel, und ich
waren unterwegs mit dem Bus von Sydney, Australien, nach Los Angeles, Vereidigte
Saaten von Amerika, als plötzlich nach einem elektromagnetischen Impuls
irgendwo über dem Pazifik, vielleicht sogar über den Danger-Islands, die
Navigationsgeräte ausgefallen sind und der Bus in der Mitte auseinander brach.
Der vordere Teil des Busses landete am Strand dieser geheimnisvollen Insel, das
Hinterteil auf der anderen Seite in der Pampa. Der Busfahrer wurde von einem
Monster gefressen, das ein Sicherheitssystem und ein Typ in schwarzen Klamotten
war. Und dann, als wir irgendwann mal vergessen hatten, unseren sechsstelligen
PIN-Code in einen vorsintflutlichen Computer einzugeben, gab es eine zweite
elektromagnetische Entladung und wir waren zuerst in BIELEFELD und schließlich
hier im Keller in Bromford, der freundlichen Stadt am Meer, die heißt wie der
Typ, der mich gerade am liebsten mit Blicken töten möchte."
"Ach,
hör' doch auf mit Deinen Geschichten", winke ich entschieden ab.
"Außerdem wiederholst Du Dich!"
"Das
werde ich nicht tun!" verkündet das Lama stolz. "Und wenn Du ehrlich
bist, willst Du es auch gar nicht anders haben!"
Mit
diesen Worten hat es sich auf der letzten Bank im halben Bus zusammengerollt
und ist innerhalb von wenigen Minuten tief und fest eingeschlafen.
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