Wednesday, May 30, 2012

Spurenbeseitigung…


Wir sind im Keller, das Lama und ich, und beseitigen das Chaos, das wir vor zwei Wochen, aber vor allem das Tier in den letzten fünf Monaten da unten angerichtet hat. Gerade haben wir die Reihe von hängenden Glühbirnen im Gang ersetzt, die das Lama eine nach der anderen mit einer selbstgebauten Zwille und Kugeln aus getrockneten, alten Kaugummis zerschossen hat. Nun widmen wir uns schon seit einiger Zeit der Kellerparzelle, die zum Penthouse der Whitaker Lane 666 gehört.

Die riesigen Foto-Poster-Wände mit allen möglichen Sehenswürdigkeiten der Welt als Motiv sind größtenteils zerstört, das Hochglanzpapier zerrissen, die Holzrahmen gesplittert. Auf den ersten kann ich gerade noch den Fernsehturm und die Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz und die Kremlmauer nebst Basilika am Roten Platz in Moskau erkennen.

"Wie bist Du nur auf so eine Schnapsidee gekommen?" frage ich kopfschüttelnd. "Eine Weltreise vorzutäuschen und regelmäßig Postkarten zu schicken, und dabei die ganze Zeit in Wahrheit im eigenen Keller sitzen. Ts, ts, ts!"

"Weißt Du, Alter", plappert das Lama und wühlt dermaßen ungeschickt in den Trümmern seiner Fotoausrüstung, dass das Chaos nur noch größer wird, "wir zwei hatten unsere Differenzen zum Jahreswechsel. Und dann war da dieses Lied im Radio: Udo Lindenberg sang 'Ich war noch niemals in New York'. Da erwachte in mir das Fernweh!"

"Jürgens, Du meinst Jürgens", bemerke ich reflexartig.

"Jenny, die glücklose Schauspielerin, oder ihre Schwester Andrea, der singende Kinderstar? Wovon ist denn jetzt die Rede, Alter?" Das Lama knabbert gerade den ohnehin schon löchrigen Bezug von dem alten Sofa, das hier unten vor sich hin gammelt.

"Udo Jürgens hat das Lied gesungen, nicht Udo Lindenberg", versuche ich zu erklären.

"Und was haben jetzt der alte Mann und das Fagott mit der ganzen Sache zu tun?" meckert das Tier und trägt zwischen den Zähnen den zerstörten Scheinwerfer und das zerbrochene Kamerastativ auf einen Haufen mit Sperrmüll.

"Manchmal frage ich mich ernsthaft, woher Du all diese Leute und Sachen kennst", sage ich mehr zu mir selbst.

"Man könnte meinen, Du machst so was professionell", meint das Lama nach einer Weile, nach der man wenigstens halbwegs wieder den Kellerboden unter dem Unrat erkennen kann. "Bist Du von der SpuBe?"

"Von der was?" frage ich ahnungslos.

"Na, Du weißt schon, Alter. Diese Leute, die an einem Tatort die Spuren…"

"Du meinst die Leute von der Spurensicherung!?" unterbreche ich.

"Nein, wenn ich die Leute von der SpuSi gemeint hätte, dann hätte ich auch SpuSi gesagt, nicht SpuBe. Ich meine die Leute von der Spurenbeseitigung, Alter. Sag' es mir ehrlich, Bromford Bibble! Bist Du ein Tatortreiniger im wirklichen Leben? Oder ein Cleaner, so wie Dennis Hopper in Pulp Fiction?"

Auf so einen Schwachsinn will ich nicht antworten, kann ich nicht antworten. Unter den letzten Resten der Plakatwände ziehe ich eine Übersetzung von Herman Melvilles Roman Moby Dick hervor. Das erklärt zumindest die erste Postkarte, die mir das Lama am 11. Januar dieses Jahres geschrieben hat.

Aber ganz in der Ecke des Kellers kommt noch etwas zum Vorschein. Es ist die hintere Hälfte eines Busses ohne Räder, aber dafür komplett mit Sitzreihen und Mittelgang.

"Wie hast Du den denn hier reinbekommen?" frage ich erstaunt und völlig ratlos, wie wir den Schrott hier jemals wieder rausbekommen sollen.

"Weißt Du, Quiqueg, mein Heidenfreund, das Schabrackentapir aus Wanne-Eickel, und ich waren unterwegs mit dem Bus von Sydney, Australien, nach Los Angeles, Vereidigte Saaten von Amerika, als plötzlich nach einem elektromagnetischen Impuls irgendwo über dem Pazifik, vielleicht sogar über den Danger-Islands, die Navigationsgeräte ausgefallen sind und der Bus in der Mitte auseinander brach. Der vordere Teil des Busses landete am Strand dieser geheimnisvollen Insel, das Hinterteil auf der anderen Seite in der Pampa. Der Busfahrer wurde von einem Monster gefressen, das ein Sicherheitssystem und ein Typ in schwarzen Klamotten war. Und dann, als wir irgendwann mal vergessen hatten, unseren sechsstelligen PIN-Code in einen vorsintflutlichen Computer einzugeben, gab es eine zweite elektromagnetische Entladung und wir waren zuerst in BIELEFELD und schließlich hier im Keller in Bromford, der freundlichen Stadt am Meer, die heißt wie der Typ, der mich gerade am liebsten mit Blicken töten möchte."

"Ach, hör' doch auf mit Deinen Geschichten", winke ich entschieden ab. "Außerdem wiederholst Du Dich!"

"Das werde ich nicht tun!" verkündet das Lama stolz. "Und wenn Du ehrlich bist, willst Du es auch gar nicht anders haben!"

Mit diesen Worten hat es sich auf der letzten Bank im halben Bus zusammengerollt und ist innerhalb von wenigen Minuten tief und fest eingeschlafen.

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