I want to
wake up in that city
That doesn't
sleep!
Ist
Bromford, die freundliche Stadt am Meer, diese Stadt? Singt der gute, alte
Frank Sinistra noch immer dieses Lied, wo auch immer er sein mag?
Das
alles geht mir durch den Kopf, als ich im ersten Stock aus dem Fahrstuhl
steige. Ich habe den Expresslift in mein Penthouse und den kleinen, goldenen
Schlüssel dazu eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr benutzt. Was hat mich nur dazu
getrieben, in den letzten Monaten immer im fünfzehnten Stockwerk auszusteigen,
die Treppe bis auf das Dach zu nehmen und dann mein Penthouse durch die Haustür
am Ende des Kiesweges zu betreten? Das Gefühl der Normalität, flüstert etwas in
meinem Kopf. Wer hat schon eine Wohnung, die man durch einen Expressfahrstuhl
betreten kann? Außerdem haben sie den Concierge gefeuert und wer weiß, wer
neuerdings alles das Haus in der Whitaker Lane 666 und damit den Fahrstuhl
betreten kann? Und auch wenn in mein Penthouse nur der kommt, der auch den
goldenen Schlüssel hat und die Fahrstuhltüren für alle Unbefugten geschlossen
bleiben, so ist es doch immer noch derselbe Fahrstuhl, der seine Passagiere
ohne Probleme in den Stockwerken eins bis fünfzehn ausspuckt.
"Da
kommen komische Geräusche und Blitzlichter aus Ihrem Keller, Bromford!"
Erschrocken
bleibe ich auf Höhe der fachartigen Briefkästen stehen. Mein Keller? Wovon
spricht die Stimme, die mich hier so unerwartet anspricht? Ich drehe mich um
und blicke in das freundliche Gesicht der kleinen, alten Dame aus Apartment 1
im ersten Stock links. Anne-Marie Whitaker, Ur-Ur-Ur-Enkelin von Roger, dem
Namenspatron der Whitaker Lane, hat noch immer keinen Mut zu silbernen Haaren.
Wieder einmal scheint eine Tönung schief gegangen zu sein und ihr Haupthaar
leuchtet in einem perlmuttartigen Rosa. Na, wenigstens lebt sie noch, denke ich
zerstreut und frage mich, ob ich mich nicht kürzlich gefragt habe, wer von den
Bewohnern der Whitaker Lane wohl schon nicht mehr unter den Lebenden wandelt.
Anne-Marie
zwinkert mir zu und deutet auf die Treppenstufen hinunter zu den Kellerräumen.
Dort unten befinden sich neben dem Übungskeller der "Imaginary Four
Buggles" mit den leeren Eierkartons an den Wänden noch die fünfundzwanzig
Kellerzellen der fünfundzwanzig Wohnungen und Apartments des Hauses in der
Whitaker Lane 666. Stimmt, dort unten, ganz am Ende eines schummerigen Gangs
habe auch ich einen solchen mit Holzgitterstäben von der Nachbarzelle
abgeteilten Stauraum. Aber wie sollen von dort Geräusche und Blitzlichter
kommen? Als ich das letzte Mal dort unten war, hatte dort nur ein altes,
zerschlissenes Sofa mit herausragenden Sprungfedern vor sich hin gegammelt. Und
das hatte nicht einmal mir sondern dem Vorbesitzer meines Penthouses gehört.
"Sie
sollten einmal nachschauen!" sagt Anne-Marie Whitaker hinter mir
geheimnisvoll und ist schon wieder hinter ihrer weißen Wohnungstür mit dem
goldenen Namensschild verschwunden, bevor ich sie fragen kann, wovon sie spricht.
Vorsichtig
und mit leicht zitternden Knien steige ich in den Keller hinab. Der
Übungskeller der "Buggles" ist heute leer und still. Kein Klavier, keine
Posaune, Gitarre oder Schlagzeug zu hören. Kein Wunder eigentlich, denn heute
ist nicht Sonntag, der traditionelle Übungstag der vier reiferen Herren aus
diesem Haus. Ich lasse also diesen Teil des Kellers hinter mir und gehe weiter.
Noch
ein paar Stufen hinab und ich stehe am Anfang des langen Ganges, an dessen Ende
sich mein Kellerraum befindet. Zu meiner Rechten die Kellerwand mit den kleinen
Kellerfenstern knapp unter der Decke, zu meiner Linken die Zellen mit ihren
Holzgitterwänden und –türen. Ein feuchter Geruch steigt mir in die Nase, und ein
eisiger Windhauch lässt mich frösteln. Ist es möglich, dass ich mich genau in
diesem Moment unterhalb des Meeresspiegels befinde? Erklärt das den salzigen
Geschmack, den ich auf der Zunge zu schmecken glaube?
Meine
Finger tasten nach dem Lichtschalter, aber als ich ihn drücke tut sich nichts.
Die nackten Glühbirnen, die ich in kurzen Abständen über mir an der Decke
baumeln sehen kann, bleiben dunkel und schwingen leicht in einem Luftzug und im
fahlen Tageslicht, das durch die schmalen Kellerfenster hereinfällt, hin und
her. Ich verschränke die Arme vor der Brust und reibe mir mit den Fingern die
Oberarme. Sollte es hier unten um diese Tages- und diese Jahreszeit wirklich so frisch
sein, auch wenn dies hier ein Keller ist?
Etwas
weiter den Gang hinunter huscht irgendetwas fauchend aus dem Halbdunkel in
einen der Keller. War das eine Katze? War das etwa die Katze, die eine Zeit
lang ungefragt mein Penthouse betreten hat? Aber war die nicht von einem
Autoreifen um ihre neun Leben gebracht worden? War das dann vielleicht der
Geist dieser Katze?
Und
dann höre ich ein Klicken und sehe ein bläuliches Blitzen aus dem Kellerraum
ganz am Ende des Ganges. Irgendetwas geht da vor sich. Ich atme tief ein und
gehe vorsichtig den Gang hinunter. Ich versuche, dabei leise zu sein und mich
möglichst dicht an der Wand zu meiner Rechten zu halten. Wer weiß, was sich im
Halbdunkel der Kellerzellen hinter den Holzgittern alles verbirgt und versuchen
könnte nach mir zu greifen! Fast sehe ich Gesichter und höre aufgeregte
Stimmen. Und steht da nicht ein freundlich lächelnder Mann mit Halbglatze in
Gefängniskleidung mit durchdringenden Augen hinter einer Plexiglasscheibe?
'Unsinn!',
ermahne ich mich selber. Da sind nur ausrangierte Möbel, Stapel alter Zeitungen,
Vorräte in Büchsen und andere Dinge, die Menschen in ihren Kellerräumen
aufbewahren, nur eben alles etwas schwer zu erkennen in der schummerigen
Beleuchtung. Ein Kellerteil reiht sich an den nächsten wie ein Würfel an den
anderen, nur dass diese Würfel durchlässige Wände haben und man in der Regel von
einem in den anderen schauen kann. Nur nicht in den letzten.
Ein
besonders schräger Sonnenstrahl der untergehenden Sonne – Ist es wirklich schon
so spät? – fällt durch das schmale Fenster unter der Decke neben dem letzten
Keller am Ende des Ganges direkt auf ein großes, auf einen Holzrahmen
aufgezogenes Plakat. Es ist so groß wie die Trennwand aus Gitterstäben zwischen
den letzten beiden Kellerzellen und verbirgt den Blick auf diejenige, die zu
meinem Penthouse gehört, und das, was darin vor sich geht. Da sind wieder
dieses Klicken und dieses Blitzen!
Die
große Plakatwand zeigt ein Foto des Eiffelturms in Paris. Im Licht des
Sonnenstrahls, der jetzt schnell verblasst, sehe ich gerade noch einen flachen,
rechteckigen Gegenstand, der vor meinem Keller im Gang liegt. Ich hebe ihn auf
und drehe ihn ins schwächer werdende Licht der Kellerfenster.
Was
soll das? Es ist eine Fotopostkarte. Sie zeigt das Lama vor dem Eiffelturm in
Paris mit einem Baguette unter dem Vorderbein und einem Cognacschwenker
zwischen den Zehen. Ich drehe die Karte um und erblicke die altbekannte
lamartige Sauklaue, die hier nur wenige Worte geschrieben hat:
"Lieber
Bromfurz,
ich
bin…"
Was
ist hier los? Wie kommt diese Karte hierher? Wieder blitzt und klickt es.
Ich
mache einen Satz nach vorne und reiße die Gittertür zu meinem Kellerraum auf.
Mit dem nächsten Schritt trete ich auf den Schalter eines Scheinwerfers, der an
einem Stativ dicht an der Kellerdecke befestigt ist, und sofort hell
aufleuchtet.
Vor
mir, an der hinteren Wand der Kellerzelle, die nicht aus einem Holzgitter
besteht, kauert das Lama und stößt einen panischen Schrei aus, der an das
Quieken eines Ferkels erinnert. Gleichzeitig geht mit einem Blitzlicht und über
Fernauslöser eine Kamera los, die ebenfalls auf einem Stativ neben dem
Scheinwerfer angebracht ist. Das Lama wirft den Auslöser samt Kabel, über das
er an der Kamera befestigt ist, in eine Ecke und dreht sich aus dem grellen
Licht des Scheinwerfers.
"Was
geht hier vor sich?" frage ich entgeistert.
"Schau
mich nicht an! Schau mich nicht an!" jammert das Tier.
Es
steht vor einem großen Fotoplakat, das die Tower Bridge in London zeigt und
trägt eine von diesen hohen, schwarzen Fellmützen auf dem Kopf, die sonst die
Leibgarde der Königin trägt. Der Riemen unter seinem Kinn ist verrutscht und
das ganze Teil sieht nun eher aus wie der schiefe Turm von Pisa. Mit einem
ungeschickten Satz versucht es, an mir vorbei aus dem Keller zu flüchten, stößt
dabei allerdings an das zerschlissene Sofa, das nach hinten gegen eine ganze
Reihe Fotoplakatwände stößt, die nun eine nach der anderen umfällt. Ich erkenne
noch ein Bild der Akropolis in Athen, die Pyramiden von Gizeh, die Jesus-Statue
von Rio de Janeiro und die Pyramide des Kukulcán aus Mexiko, dann fällt mir der
Scheinwerfer auf den Kopf. Und statt hell wird plötzlich alles dunkel.
Und von einem
Schabrackentapir keine Spur…
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