Thursday, November 15, 2012

Continuity…


"Ich habe mein Gedächtnis verloren!" jammere ich und drücke mir einen Eisbeutel an die pochende Stirn.

Das Lama nimmt Anlauf und springt auf das Sofa, was mich einige Zentimeter in die Luft schnellen lässt.

"Wie kommt 's?" will es wissen. "Kopfverletzung? Amnesie? Alzheimer? Andere Arten von Demenz? Obwohl, so alt bist Du ja eigentlich auch wieder noch nicht."

"Computerabsturz und eine defekte Festplatte", hauche ich matt.

"Ich wusste es!" verkündet das Tier. "Du bist gar kein Mensch, Bromford Bibble. Du bist eine Maschine. Ein Computer. Ein Androide. Oder ein Spam-Bot. Oder irgendwas in der Art! Alter! Ich fasse es nicht! Ich teile mir die Wohnung mit einer Künstlichen Intelligenz."

"Schwafle nicht rum!"

Ich richte mich auf und werfe dem Lama den Eisbeutel an den Kopf.

"Ich bin kein Gerät! Und die Festplatte gehörte in meinen Personal Computer bevor sie beschloss zu streiken und gegen ein anderes Modell ausgetauscht werden musste. Aber jetzt komme ich natürlich nicht mehr an die Daten, die auf ihr gespeichert sind – oder waren."

"Das ist blöd", blökt das Tier, hüpft dabei aber leicht gleichgültig auf dem Sofa auf und ab. "Was ist denn mit Deinem Laptop? Hast Du da keine Sicherheitskopien Deiner Daten drauf?"

"Schon", murmele ich theatralisch. "Die wichtigsten Sachen habe ich schon kopiert. Aber es sind die Kleinigkeiten, die für immer verloren sind, die schmerzen."

"Beispiel? Beispiel? Beispiel?" Das Lama hüpft auf und ab. Auf und ab. Auf und ab.

"Die Whitaker Lane 666 ist weg. Oder besser gesagt, die Liste, welche Bewohner in welchem Apartment auf welcher Etage im Haus in der Whitaker Lane 666 wohnen. Da hatte ich mir eine Art Zeichnung gemacht während meiner Vorstellungsrunde damals im Jahre 2010."

"Wo ist denn das Problem?" fragt das Tier. "Steht doch alles hier im Blog. Und wenn Dir das nicht reicht, dann hebst Du vielleicht mal wieder Deinen Hintern von der Couch und klingelst Dich eben noch mal durch alle vierundzwanzig Apartments. Wird doch wohl nicht so schwierig sein!?"

Ich seufze: "Und was ist mit der Continuity? Denk doch mal an all die Leute, die ihre Eigentumswohnungen inzwischen eventuell verkauft haben und weggezogen sind. An die, die verstorben sind oder erschossen wurden, wie dieser Lennon. Oder an all die Verlorenen, die mit Pilot Frank ins Flugzeug gestiegen und verschollen sind. Wie soll ich denn da jemals wieder den Anschluss finden?"

"Conti-Was?" fragt das Tier dümmlich.

"Anschluss bezeichnet in der Filmkunst den stimmigen Übergang zwischen zwei Einstellungen", beginne ich zu dozieren. "Oft wird Anschluss auch mit dem englischen Fachausdruck Continuity bezeichnet.

Der Anschluss muss sicherstellen, dass alle Details von einer Einstellung zur nächsten zueinander passen. Wenn dies nicht geschieht, spricht man von einem Anschlussfehler. Typische Anschlussfehler sind Änderungen der Stellung oder Körperhaltung der Schauspieler, Änderungen in der Kleidung oder Ausstattung und Sprünge in der angezeigten Uhrzeit von einer Einstellung zur nächsten. In Actionfilmen beobachtet man häufig, dass Beschädigungen von Fahrzeugen oder Gegenständen sich von Einstellung zu Einstellung verändern.

Das Problem des Anschlusses entsteht, weil Szenen von Spielfilmen aus Gründen der Effizienz nicht in derjenigen Reihenfolge gedreht werden, in der sie im fertigen Film erscheinen. Die Reihenfolge der Drehs ist meist durch die Verfügbarkeit von Schauspielern, Drehorten und anderen Ressourcen vorgegeben. Zwei im fertigen Film direkt aufeinander folgende Szenen können also mit großem, zeitlichem Abstand gedreht worden sein."

"Und wir sind also in einem Film?" fragt da Lama mit weit offenen Augen. "Dass Du Probleme mit Anschluss hast, meine ich bereits mitbekommen zu haben."

Ich zucke nur die Schultern.

"Und weil Deine Festplatte kaputt ist, hast Du Angst vor dem Anschluss? So wie damals in der Schwarzwaldklinik als die Haushälterin im blauen Dirndl im Wohnzimmer kurz aufgestanden ist, um nach dem Baby im Kinderzimmer zu sehen? Im Kinderzimmer trug sie dann ein grünes Dirndl, nur um Sekunden später wieder das blaue anzuhaben, als sie sich zurück in ihren Sessel im Wohnzimmer setzte?"

Ich staune: "Willst Du mir damit sagen, dass Du es verstanden hast?"

"Nein, Alter!" grunzt das Lama. "Ich verstehe kein einziges Wort. Außerdem bin ich kein Anhänger der Kontinuität. Ich bin eher ein Vertreter der Meta-Ebene."

"Na, dann", sage ich. "Wusstest Du, dass ich letzten Dienstag kurzzeitig dachte, Reykjavík sei eine finnische Stadt?"

"Manchmal wirst Du mir direkt unheimlich, Alter!" murmelt das Tier und schlürft die schmelzenden Würfel aus dem tauenden Eisbeutel.



1 comment:

  1. Die Conti-Dings ist schon längst im Arsch. John Harrison wurde erschossen, nicht Lennon. Steht hier in diesem BlogBlock. Liest Du eigentlich auch manchmal Deinen eigenen Scheiss?

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