Monday, October 29, 2012

Lebensgeschichten…


"Wo warst Du letzte Woche, Alter? Warum tanzt Du plötzlich aus der Reihe?" brüllt das Lama aus dem Wohnzimmer. "Du hast zwei Termine verpasst. Und was heißt hier überhaupt… Und von einem Lama keine Spur…? Ich bin doch genau da oder hier, wo ich immer war oder bin, nämlich genau hier!"

Ich schweige mich aus und koche weiter mein Wasser für meinen Nachmittagstee.

"Es liegt ganz bestimmt an dieser unheimlichen Zeitverschiebung", mutmaßt das Tier weiter lautstark, "diese Zeit, die einfach so von Sommer auf Winter umgestellt wird und dabei einfach den Herbst überspringt. Dabei haben wir doch noch Herbst und keinen Winter, oder etwa nicht?"

Der Wasserkocher rauscht und zischt und dampft und ist von innen beleuchtet. Ich schaue fasziniert dabei zu, wie zuerst kleine, dann immer größere Luftbläschen darin aufsteigen.

"Oder es sind ganz einfach nur die Rosinen in Deinem Kopf, Alter!"

Jetzt reicht es mir aber doch.

"Zwei Apfelsinen im Haar
und an den Hüften Bananen
das trägt Rosita seit heut'
zu einem Kokosnusskleid",

singe ich laut und falsch aus der Küche.

"Für wen hältst Du mich? Josephine Baker, oder was?!" brülle ich noch hinterher.

"Ist ja schon gut", versucht das Lama zu beschwichtigen. "Ich meine ja nur. Außerdem habe ich Dich doch ins Penthouse zurückgelassen und zugegeben, dass es ganz allein Dir gehört. Ich bin hier nur der Gast. Und Kate Hudson hat hier gar nichts zu sagen. Sie ist nicht meine Therapeutin und Deine auch nicht. Und sie ist nicht unsere Haushälterin und auch nicht unsere Vermieterin. Wie wäre es, wenn Du einfach den Bud-Spencer-Film mitbringst, den Du schon so lange sehen wolltest, und wir machen uns einen netten, versöhnlichen Nachmittag auf der Couch?"

Ich gieße das heiße Wasser auf den Teebeutel in meinem Becher mit dem Aufdruck:

Wer morgens ZERKNITTERT aufwacht,
kann sich tagsüber besser ENTFALTEN!

und schlurfe auf Socken ins Wohnzimmer hinüber.

"Ich glaube, Du verwechselt da etwas. Ich mag keine Bud-Spencer-Filme. Und Terence-Hill-Filme mag ich auch nicht. Und schon gar keine Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Filme. Und Du übrigens auch nicht. Ich bin nicht Marc-Uwe Kling und Du bist nicht das kommunistische Känguru! Du bist doch höchstens das lahme Lama, wenn Du mich fragst!"

"Wenn schon, dann will ich das lasterartige Lama sein", schmollt das Tier. "Aber von mir aus, schmeiß doch eine von Deinen heißgeliebten Space-Operas in den Player. Trek Wars oder War Stars oder Dancing With The Stars oder so was. Wenn Du magst schmeiße ich mich dann auch in meine schwarzen Leggins und mein langes, schwarzes Cape und setze meinen schwarzen Sturzhelm auf. Dann krame ich mein altes Walkie-Talkie raus und rufe Dir mit heiserer Stimme zu:

Ich bin Dein Vater!"

"NEIN! DAS IST NICHT WAHR! NIEMALS!" schreie ich. "Da schneide ich mir lieber selber die Hand mit dem Laserschwert ab und stürze mich freiwillig in den Lüftungsschacht irgendeiner Wolkenstadt!"

"Oder so. Wenn Du meinst, Alter!" Das Lama zuckt gleichgültig die Schultern. "Solange Du Dich nicht mehr von irgendwelchen alternden Möchtegernmusikern aus dem Haus runterziehen lässt."

"Wusstest Du, dass die Buggles sich getrennt haben?" frage ich und nippe an meinem Tee.

"Ja, aber doch schon 1970. Wegen künstlerischer Differenzen und einer nordkoreanischen Performance-Künstlerin namens Oko Yono!"

"Na, dann", sage ich. "Und es muss lasterhaft heißen, nicht lasterartig, finde ich."

Saturday, October 20, 2012

Band On The Run…


"Du hast Dich ja lange nicht mehr in unserem Übungsraum blicken lassen, Bromford!" begrüßt mich die Gitarre. "Wird die Luft Dir nicht zu dünn in Deinem Penthouse?"

Paul Starr, der Gitarrist der hauseigenen Band The Buggles, schenkt mir ein eigentümliches Lächeln.

Aus der anderen Ecke erklingt ein Trommelwirbel, der mit einem Schlag auf das Becken endet. Ringo Lennon, der Schlagzeuger der Imaginary Four, ist auch da und tippt sich nun grüßend mit den Drumsticks an den Kopf.

Ich murmele einige erklärende Worte vom Lama, das mich sehr beschäftigt und auf Trapp gehalten hätte in der letzten Zeit, und von meinen Problemen, wieder in meine Wohnung auf dem Dach zu kommen, aber die beiden schauen mich nur stirnrunzelnd und verständnislos an. Von einem Lama, noch dazu in diesem Haus, haben sie offenbar noch nie etwas gehört.

"Bist Du jetzt religiös geworden, Bromford Bibble?" fragt mich Paul amüsiert. "Bist Du jetzt Buddhist geworden? Sprichst Du vom tibetischen Dalai Lama?"

Ringo schnauft: "Ach, was! Da steckt bestimmt eine Frau dahinter! Wie heißt die noch? Daliah Lama?"

"Quatsch keine Opern, Kumpel!" unterbricht Paul ihn lachend. "Unser Bromford ist zwar auch nicht mehr der Jüngste, aber für die ist er definitiv noch nicht alt genug!"

"Lamas im Penthouse", kichert Ringo weiter vor sich hin, "hört sich an wie zu viel Lucy in the Sky with Diamonds, wenn Du mich fragst!"

"Live and Let Die, sage ich immer", fährt Paul fort und wischt sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. "Und wenn schon nicht mit dem Yellow Submarine in Octopus's Garden, warum dann nicht im Penthouse eines Lamas?"

Wie kann es sein, dass das Lama seit über einem Jahr in diesem Haus wohnt, hier ein und aus geht, sich sogar einige Wochen lang im Keller versteckt hat, ohne dass Paul und Ringo es jemals bemerkt hätten? Ein sprechendes Lama in einem Hochhaus sollte doch wohl auch in der freundlichen Stadt am Meer, die heißt wie der Mann, keine Alltäglichkeit sein, die man einfach ignorieren und übersehen kann!

Worte von Mrs. Hudson vibrierten durch meine Gedanken. Worte über imaginäre Freunde und Halluzinationen, von denen ich nicht mal mehr sagen kann, ob sie an mich oder an das Tier gerichtet waren. Und immer wieder muss ich mich fragen, was es bedeuten würde, hätte ich mir meinen tierischen Hausbesetzer nur eingebildet.

"Wie läuft es mit den Buggles?" versuche ich das Thema zu wechseln. "Steht der ultimative Durchbruch kurz bevor? Oder das allumfassende und zugleich überraschende Comeback?"

Das aufgesetzte Grinsen gefriert mir auf dem Gesicht, als ich bemerke, wie Paul und Ringo betreten den Blick zu Boden richten. Paul legt die Gitarre auf das Sofa neben sich. Ringo lässt die Trommelstöcke sinken.

"Die Buggles gibt es nicht mehr. The Buggles sind Geschichte", murmelt Paul.

"Schlagzeug und Gitarre allein sind auch keine richtige Band", ergänzt Ringo leise.

"Aber ihr trefft Euch doch sicher immer noch jeden Sonntag zur Bandprobe, oder?" Manchmal braucht das Gehirn etwas länger, um gehörte Informationen zu verarbeiten, oder um die richtigen Schlüsse aus dem Gesagten zu ziehen.

"Heute ist Samstag", sagt Paul und packt sein Instrument in eine Kunstlederhülle. Der Reißverschluss ist das einzige Geräusch, das die Eierkartons an den Wänden des Proberaums schlucken müssen, als er ihn zuzieht.

"Wir hängen nur noch selten hier rum und jammen zu zweit ein bisschen", meint Ringo seufzend, "aber es ist einfach nicht mehr dasselbe seit John und George nicht mehr da sind."

Das Klavier und die Posaune, kommt es mir in den Sinn. Das musikalische Duett, das lange Zeit die einzigen menschlichen Geräusche zu sein schienen in meinem ersten Sommer vor drei Jahren in diesem Haus. John Harrison und George McCartney, die beiden anderen Mitglieder der Buggles, der Sonntagsband des Hauses in der Whitaker Lane 666.

"Sind die beiden denn weggezogen?" frage ich vorsichtig und versuche mir die einsamen Herren aus Apartment 9 und Apartment 10 im fünften Stock ins Gedächtnis zu rufen. Sie haben beide allein gelebt und nur ab und zu Besuch von ihren erwachsenen Söhnen bekommen, wenn ich mich richtig erinnere.

"George ist letztes Jahr, am 29. November an Lungenkrebs gestorben." Alles Leben ist aus Pauls Stimme gewichen. "Zuletzt hat er niemanden mehr erkannt, weil die Metastasen sein Gehirn angegriffen hatten."

Ich schlucke. Wo war ich nur zu der Zeit? Womit habe ich mich beschäftigt? Doch wohl nicht ernsthaft mit dem Lama und seiner brünetten Praktikantin?

"Aber die Band gab es vorher schon nicht mehr." Ringo löst ein Scheppern aus, als er beim Aufstehen mit der Hüfte an die Hi-Hats stößt. Er beginnt mit grimmigem Gesichtsausdruck im Übungskeller auf und ab zu gehen. "Johns neuste und letzte Ehefrau hat alles kaputt gemacht! Oko Yono wollte unsere Sängerin sein, mit Protestsongs und Aktionen die Welt verbessern. Talkin' about Revolution 1 bis 9. Can You Imagine? Dabei war alles, was aus ihrem Mund kam, nur das Gekreische für eine Plastikband."

"Sie hat John am Ende verboten, mit uns zu proben", ergänzt Paul leise und mit zitternder Stimme. "Und am 8. Dezember, kaum mehr als eine Woche nach Georges Tod, hat ein geistesgestörter Mann John hier vor unserem Haus erschossen."

John Harrison erschossen? Vor unserem Haus? Hier in der Whitaker Lane 666? Hier in Bromford, der freundlichen Stadt am Meer?

Wo bin ich nur die ganze Zeit gewesen? Warum habe ich von all dem nichts mitbekommen? Kann man so mit sich selbst beschäftigt sein, dass man alles andere um einen herum einfach ausblendet?

"Aber euch beiden und euren Frauen geht es gut, oder?" höre ich mich sagen, bevor ich auch nur weiß, was ich denken soll. Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?

Ringo räuspert sich unangenehm berührt.

"Barbara geht es gut", sagt er. "Ich sollte auch schon längst wieder oben bei ihr sein. Man sieht sich!"

Er schnappt sich seine Trommelstöcke und ist im nächsten Augenblick verschwunden.

"Und wie geht es Linda und den Kindern?" frage ich Paul.

Paul zieht mich auf die Beine und packt mir seine Hände auf die Schultern, während er mir fest in die Augen schaut.

"Bromford, Linda ist auch tot!" sagt er leise, nun ganz ohne erkennbare Emotionen in der Stimme. "Sie ist Weihnachten 2010 gestorben an einem nicht diagnostizierten Krebstumor, kurz nachdem Du uns zum Keksebacken besucht hattest. Die Kinder leben seitdem bei ihren Großeltern mütterlicherseits. Die sind jünger als ich und fanden mich schon immer zu alt als Mann für ihre Tochter und Vater für ihre Enkelkinder. Ich habe dann noch einmal geheiratet, aber die zweite Ehe hielt nicht besonders lange. Heather, meine zweite Frau, wollte nur mein Geld und war schnell wieder weg, als sie bemerkte, dass es bei mir nichts zu holen gibt. Und bevor Du in Mitleid zerfließt – ich bin schon wieder glücklich verheiratet. Am 9. Oktober 2011 habe ich Nancy das Ja-Wort gegeben. Und nun hoffe ich, dass sie meine letzte Lebensabschnittsgefährtin sein wird."

"Paul, ich weiß gar nicht…", beginne ich, aber er unterbricht mich und drückt mich zurück auf den Sessel, in dem ich bisher gesessen habe.

"Du brauchst nichts zu sagen", beginnt er und dreht mir den Rücken zu. "Wusstest Du eigentlich, dass sich seit 1969 hartnäckig das Gerücht hält, ich sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen und durch einen Doppelgänger ersetzt worden? Long Time Ago When We Was Fab. The Buggles haben damals tatsächlich das ein oder andere Album aufgenommen. Als angebliche 'Beweise' für mein Ableben deutete man unter anderem einige Details auf dem Cover unserer LP Downton Abbey, zum Beispiel, dass ich als einziger der Buggles barfuß zu sehen bin, was in Großbritannien als Todessymbol gedeutet wird, da Menschen hier ohne Schuhe beerdigt werden. Außerdem sei es außergewöhnlich, dass ich – als Linkshänder – meine Zigarette in der rechten Hand halte. Die Verschwörungstheorien hierzu sind bekannt unter dem Begriff 'Paul is dead'."

Er hat sich seine Gitarre auf den Rück geschnallt und steht nun in der offenen Tür aus dem Proberaum.

"Und Du willst mir etwas von einem Lama erzählen, das Dein Penthouse besetzt hält?! I Am The Walrus, Man!"

Mit diesen Worten lässt er mich zutiefst verwirrt und allein im Keller der Whitaker Lane 666 zurück.

Und von einem Lama keine Spur…

Sunday, October 14, 2012

Rosinen im Kopf…

"Ihr Menschen seid echt seltsam", sagt das Lama. "Manchmal habt ihr Rosinen im Kopf, aber keiner weiß, wer sie da reingetan hat oder wieder rausholen wird."

"Was willst Du schon wieder von mir?" frage ich wenig amüsiert. "Und wann darf ich endlich zurück in mein Penthouse? Das mit den Rosinen ist doch nur so eine Redewendung! Ein Sprichwort oder wie auch immer Du es nennen willst."

"Eine Redewendung? So, so!" murmelt das Lama.

"Und immer noch besser, man hat Rosinen im Kopf", fahre ich fort, "als Stroh!"

"Stroh?" fragt das Lama.

Ich nicke.

"Im Kopf, Alter?" fragt es weiter.

Ich nicke wieder.

"Aber nicht immer, wenn man Stroh im Kopf hat, sticht einen auch der Hafer", sage ich.

"Hafer?" fragt das Lama. "Im Kopf, Alter?"

"Schmetterlinge im Bauch können hingegen manchmal ganz angenehm sein", sage ich. "Und mit Sicherheit besser als Flugzeuge."

Das Lama nickt.

"Besser Schmetterlinge im Bauch", meint es dann, "als Hummeln im Hintern."

"Oder gleich einen Stock im Ar…."

"Ich sage doch", unterbricht mich das Tier, "ihr Menschen seid echt seltsam."

Thursday, October 11, 2012

Zero Gravity…


"Na, wie läuft es?" fragt das Lama.

Es trägt aus mir völlig unbegreiflichen und schleierhaften Gründen wieder das Klempnerkostüm mit dem künstlichen Schnurrbart, das es schon einmal ganz zu Beginn unserer Bekanntschaft getragen hat.

"Weißt Du, Bibble, seit letztem Dienstag fühle ich mich irgendwie wie befreit, regelrecht erlöst. Ich weiß auch nicht, woran das liegen könnte."

Ich murmele einige derbe Verwünschungen vor mich hin und schlinge meine Arme enger um meinen Oberkörper. Mir ist kalt, und ich komme mit dem Zittern nicht hinterher. Oder wie man so schön sagt:

Ich kann gar nicht so schnell zittern, wie ich friere.

"Warum klapperst Du eigentlich so laut mit den Zähnen? Muss das sein? Gefällt es Dir nicht in meiner Wohnung?"

Ich schaue mich ungläubig in Apartment vierundzwanzig um. Es sieht in meinen Augen immer mehr wie die Nachbildung eines alten, griechischen Tempels aus kaltem, weißem Marmor aus. Ein antikes Heiligtum ohne erkennbare Decke, das nur aus langen, kahlen Gängen zu bestehen scheint.

"Wenn Du hier schon in Latzhose rumläufst", knurre ich, "kannst Du wenigstens die Heizung wieder in Ordnung bringen."

Das Lama hebt eine der Marmorplatten in der Eingangshalle und verschwindet mit seinem Werkzeugkasten einige Stufen hinunter, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Nach kurzer Zeit dringen hämmernde und schraubende Laute zu mir herauf.

"Was ist eigentlich aus den Wolken geworden?" ruft das Tier mir zu. "Und wer hat die Schwerkraft wieder eingeschaltet?"

"Welche Wolken? Welche Schwerkraft?" antworte ich genervt.

"Erinnerst Du Dich nicht mehr an Weihnachten vor zwei Jahren?" ruft das Tier. "An Deine Vorstellungstour durch alle Apartments in diesem Haus? An den langhaarigen Hippie-Typen mit dem Gottkomplex aus dieser Wohnung hier und damit an meinen Vorbesitzer?"

Ich schlottere immer noch und zucke heftig zusammen, als dem Lama in seinem Loch irgendetwas laut scheppernd zu Boden fällt.

"Wer soll denn das gewesen sein? Lando Calrissian?" presse ich zwischen den Zähnen hervor. "Das hier ist doch schließlich nicht die Wolkenstadt im Orbit um den Planeten Bespin!"

"Oh, Du bist nur halb so originell, wie Du denkst, mein alter Freund", trällert das Lama fröhlich. "Ich weiß genauso gut wie Du, wer dieser Lando ist. Ich muss das ganz bestimmt nicht erst googeln!"

Unter mir wird etwas mit einem lauten Quietschen über den Fußboden gezogen, woraufhin das Lama laut schnauft und keucht.

"Wann wurde eigentlich das Googeln zum Synonym für jegliche Suche im Internet?" fragt das Tier leicht zerstreut.

"Mir doch egal!" grolle ich. "Mich interessiert viel mehr die Frage, wann ich endlich wieder in mein Penthouse zurückkehren kann! Und die Antwort darauf finde ich garantiert nicht im Zwischennetz!"

Lamaschritte auf den Marmorstufen. Zuerst wuchtet es klirrend den Werkzeugkasten aus dem Loch. Dann hüpft es selbst federnd heraus, bevor es die schwere Marmorplatte mit einem dumpfen Knall zurück über die Öffnung fallen lässt.

"Weißt Du", säuselt das Tier, "meine Therapeutin, Kate Hudson, findet, dass ich sichtlich Fortschritte gemacht habe. Seit ich mir selber eingestehe, dass Du nur eine Einbildung, eine Halluzination bist, sei ich wie verwandelt. Ruhig, ausgeglichen, ganz bei mir selbst. Ich denke, diese Besserung sollten wir nicht dadurch gefährden, dass Du wieder im Penthouse herumhängst."

Ich grolle still in mich hinein. Ich denke an meine vergeblichen Versuche in den letzten Tagen, zurück in meine Wohnung zu gelangen. An die Türschlösser, die das Tier hat auswechseln lassen. An die Schlüsselkarte für den Fahrstuhl, die es gesperrt und ausgetauscht hat. Und an das schallende Gelächter der Polizisten, als ich ihnen im Polizeirevier versucht habe zu erklären, ein durchgeknalltes Lama hätte meine Wohnung besetzt.

Ich seufze. Vielleicht hilft hier wirklich nur Abwarten und Teetrinken. Oder besser Glühwein bei den niedrigen Temperaturen in diesem Apartment.

"Okay", sage ich. "Ich lasse Dich noch eine Weile in Ruhe. Konntest Du wenigstens die Heizung in Ordnung bringen?"

"Ich habe eine schlechte Nachricht für Dich, Bromford Bibble!"

Das Lama ist schon halb aus Apartment vierundzwanzig verschwunden.

"In dieser Wohnung gibt es gar keine Heizung. Und fließend warmes Wasser auch nicht. Aber freu' Dich doch! Dafür haben sie die Schwerkraft wieder eingeschaltet."

Mit geschlossenen Augen schüttele ich den Kopf, während die Wohnungstür hinter dem Tier ins Schloss fällt. Tief durchatmen! Abwarten! Und Tee trinken!

MEHR GELASSENHEIT !!!

Tuesday, October 09, 2012

Everglades…

Es klingelt.

Vor der Tür zu meinem Penthouse steht Mrs. Hudson, aber nicht in ihrer Verkleidung als Gouvernante vom Beginn des letzten Jahrhunderts, nicht als unsere Haushälterin, die das Lama so gern unsere Vermieterin nennt. Sie trägt das Haar wieder offen und ihre akademische Hornbrille, dazu ein elegantes, graues Kostüm. Gibt sie heute wieder meine Therapeutin? Hatten wir einen Termin? Ich schließe das kleine Sichtfenster in der Tür und drücke die Klinke herunter.

"Kusskuss?" ruft Mrs. Hudson und streckt ihre bebrillte Nase in den Flur des Penthouses. "Sind Sie da?"

Vorname und die Anrede "Sie", denke ich, wie vornehm oder wie schlecht synchronisierte amerikanische Seifenoper. Mit dem Fehlen der Anrede "Sie" im Englischen kommen einige Übersetzer scheinbar nicht klar. Oder warum sollten sich die Oberzicken in einer Glamour-Soap sonst gegenseitig die Augen auskratzen und sich an den Haaren ziehen, während sie sich beim Vornamen nennen, und dabei immer noch per "Sie" sein?

"Nun kommen Sie schon, Kusskuss!" Die Therapeutin geht langsam den Flur entlang und wirft flüchtige Blicke in die angrenzenden Räume "Ich weiß von Ihren Nachbarn, dass Sie da sind. Außerdem haben Sie doch gerade den Türöffner betätigt! Wo sind Sie?"

Sie will gar nicht zu mir? Sie will zum Lama? Warum nur? Und was faselt sie da von einem Türöffner? Ich habe ihr doch gerade höchstpersönlich die Tür geöffnet. Will sie mich denn gar nicht begrüßen? Will sie mich denn weiter ignorieren? Sieht sie mich denn gar nicht?

"Kommen Sie, Kusskuss. Ich mache mir Sorgen. Sie haben inzwischen drei Sitzungen verpasst. Das sind drei Monate, in denen wir nicht miteinander gesprochen haben."

Das Lama ist nicht in Behandlung! Das Lama hat keine Therapeutin! Das Lama braucht keine Therapeutin!

Was denke ich da nur für einen Unsinn? Psychiater! Wenn man sich mit denen einlässt, dann kann man ja nur komisch und wirr im Kopf werden.

Mrs. Hudson redet weiter vor sich hin: "Ich mache mir wirklich Sorgen! Ihre Nachbarn sagen, Sie haben angefangen, Essensreste und leere Flaschen von der Dachterrasse zu werfen. Außerdem spucken Sie aus dem Fenster. Und was sind das für Geschichten von einem Menschen, der jetzt angeblich mit Ihnen hier drinnen wohnt? Kusskuss, so kann das doch nicht weitergehen!"

Ein unbestimmtes Déjà-Vu-Gefühl macht mich schwindelig.

Aus dem Wohnzimmer kommt ein undeutliches Stöhnen.

"Ach, da sind Sie", murmelt Mrs. Hudson, drängelt mich zur Seite, geht fast durch mich hindurch und betritt das Wohnzimmer.

Das Lama liegt auf dem Sofa, alle Viere von sich in Richtung Decke gestreckt. Der kleine Kopf am langen Hals zeigt in Richtung Fußboden. Das Maul ist leicht geöffnet, und die Zunge hängt heraus.

Mrs. Hudson zieht sich einen der Sessel ans Sofa und beugt sich zu dem Tier hinunter. Mit einer beruhigenden Geste tätschelt sie ihm die Schulter.

"Kusskuss, mein liebes Tier, was ist denn nur passiert?" fragt sie voller Anteilnahme.

Das Lama hebt leicht den Kopf.

"Bromford!" keucht es. "Bromford Bibble!"

Mit glasigen Augen scheint es direkt durch die Therapeutin hindurch zu sehen und mich anzustarren.

Mrs. Hudson tätschelt weiter.

"Ihr imaginärer Freund?" fragt sie mitfühlend. "Wir sprachen darüber. Ist das sein Name? Ist das dieser Mensch, der sich in Ihrem Penthouse und in Ihrem Leben breit macht?"

Das Lama nickt wehleidig und dreht den Blick von mir weg.

"Er lässt mich einfach nicht in Ruhe!"

Es schiebt sich in eine sitzende Position und schlingt seine Vorderbeine um die Therapeutin. Dazu schluchzt es heiser, während kleine Erschütterungen durch seinen haarigen Körper laufen.

"Bitte helfen Sie mir, Kate! Befreien Sie mich von ihm! Machen Sie, dass er weg geht!"

"Ist ja schon gut! Ist ja schon gut!" Kate Hudson klopft dem Lama mit beiden Händen auf den Rücken. "Ich werde sehen, was ich tun kann. Wo ist dieser Mensch?"

Das Lama zeigt mit einem Huf hinter sie auf mich.

"Also, schön!"

Mrs. Kate Hudson erhebt sich schwerfällig aus dem Sessel, streicht ihren Rock glatt und dreht sich zu mir um. Sie stemmt die Hände in die Hüften und richtet laut und energisch das Wort an mich, wobei sie allerdings haarscharf an mir vorbeischaut.

"Hören Sie mir zu, Bromford Dribble!"

"Bibble!" korrigiert sie das Lama und grinst mich hinter ihrem Rücken unverschämt an.

"Hören Sie mir zu, Bromford Bibble!" herrscht mich die Frau, die nicht unsere Haushälterin und auch nicht unsere Vermieterin ist, an. "Es wird höchste Zeit für Sie zu gehen! Kusskuss braucht Sie nicht! Kusskuss will sie nicht! Lassen Sie das arme Tier endlich in Ruhe! Verschwinden Sie aus seiner Wohnung und aus seinem Leben!"

"Moment mal…", beginne ich meinen Widerspruch. Was ist denn hier nur los? Muss ich mir das bieten lassen? Was soll das Theater?

Doch unmerklich habe ich einige Schritte rückwärts gemacht. Schon stehe ich auf dem Flur, mit dem Rücken zur noch immer offenstehenden Penthouse-Tür.

Mrs. Hudson macht jetzt ausladende und rudernde Bewegungen mit den ausgestreckten Armen, als wolle sie ein Tier verscheuchen. Langsam, Schritt für Schritt weiche ich vor ihr zurück.

"Gehen Sie fort und kommen Sie nie mehr wieder! Verschwinden Sie dahin, wo sie hingehören! Ich verbiete Ihnen, sich Kusskuss auch nur bis auf hundert Meter Entfernung zu nähern! Weg, Bibble! Weg!"

"Aber, das ist doch alles genau andersherum…", versuche ich erneut einen Widerstand. "Das Lama ist doch hier…."

Doch da ist die Penthousetür schon vor meiner Nase zugefallen, und ich höre, wie sie von innen mit dem im Türschloss steckenden Wohnungsschlüssel abgeschlossen wird.

Da stehe ich nun staunend und verwirrt in der frischen Luft auf dem Dach.

"Will they ever be glad in the Everglades?" höre ich eine leise Stimme in meinem Kopf murmeln. Und während mir bewusst wird, dass das nicht der Sinn und Ursprung des Namens dieses tropischen Marschlandes im Süden des US-Bundesstaates Florida sein kann, trotte ich auch schon mit gesenktem Haupt über den Kiesweg auf dem Dach des Hochhauses in der Whitaker Lane 666 auf das Treppenhaus zu.

Der erste größere Herbststurm dieses Jahrs peitscht Wind und Regen vom Meer heran und durchnässt mich bis auf die Haut, bevor ich die Wohnungstür zu Apartment 24 hinter mir ins Schloss ziehen kann.

Wie konnte es nur soweit kommen, denke ich. Und wo soll das alles hier nur enden?

Wednesday, October 03, 2012

Der Sinn ist gefunden…

"Mein liebes Lama!" rufe ich aus. "Ich habe endlich den Sinn und Zweck dieses Blogs gefunden!"

Ich stehe vor dem Spiegel im Flur und binde mir die Krawatte fester.

"Du hast was?" brüllt das Tier und stürmt mit hängendem Unterkiefer aus dem Wohnzimmer.

"Ich weiß jetzt endlich, in welche Richtung dieser Blog gehen soll! Ich kenne jetzt endlich das Thema! Er ist kein BlockBlog über gar nichts mehr! Er – denn ich weigere mich immer noch ihn das Blog zu nennen – hat jetzt endlich eine tiefgreifende und weltbewegende Message, eine fundamentale Botschaft – falls Du verstehst, was ich meine!"

"Jetzt komm' mal wieder runter, Alter!"

Das Lama glotzt blöde, bleibt aber weiter in der Wohnzimmertür stehen.

"Du bist ja ganz aus dem Häuschen! Und was, zum Donnerdrummel, hast Du in Anzug und Krawatte vor?"

Ich fahre mir durch das gegelte Haar und grüße mich selbst mit einer gewinnenden Gewinnergeste im Spiegel. Nach einem schwungvollen Wisch über die Augenbrauen, zwinkere ich mir selbst wissend zu.

"Ich treffe mich gleich mit meinem neuen Manager!" verkünde ich euphorisch. "Dann besprechen wir die finanziellen Angelegenheiten, denn ich werde mich ab jetzt dumm und dämlich verdienen mit diesem Blog!"

"Was Du nicht sagst!" Das Tier scheint wie erstarrt von meinen Worten. "Und welche grundlegenden Wendungen wird es nun geben in diesem Blog? Was ist sein Sinn und Zweck?"

Ich streiche das weiße Hemd glatt und richte den Kragen des Jacketts.

"Bromford's Blog wird ab jetzt zu einem Blog über die männliche Midlife-Crisis. Auf humoristische Art und Weise werde ich Themen aufgreifen und behandeln wie wachsende Körperfülle, Haare, die langsam grau werden oder ganz ausgehen, schleichende Burnouts und allgemein abbauende Körperfunktionen. Dieser Blog wird ab jetzt Kult, und ich endlich zu der Internetberühmtheit, die ich schon seit drei Jahren sein und werden will!"

http://bromfordblockt.blogspot.de/2009/07/unverschamtheit.html

"Ich werde Werbung schalten für Haarwuchs- und Potenzmittel, Sportwagen und Motorräder! Die Abonnenten werden mir die Seite einrennen! Die Sterntaler werden nur so vom virtuellen Himmel purzeln!"

"Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder?"

Das Lama hat sich auf die Hinterbeine niedergelassen und starrt mich aus ungläubigen Glotzaugen irre an.

"Doch!" sage ich und versuche alle drei Knöpfe des himmelblauen Jacketts über meinem Bäuchlein zuzuknöpfen.

"Nein?!" gurrt das Tier.

Ein Jackettknopf nach dem anderen reißt ab und fliegt im hohen Bogen in den Flur. Klackend und kullernd springen sie über das Laminat. Der Hosenknopf an der himmelblauen Anzughose mit den ausladenden Bügelfalten macht es ihnen nach, um so meinem natürlich gewachsenen Rettungsring Platz zu machen.

Ich reiße mir die Krawatte vom Hals, ziehe den altmodischen Anzug aus und werfe alles zusammen auf den Kleiderhaufen neben der Schlafzimmertür.

"Nein!" sage ich dann mit einem bösartigen Grinsen. "Morgen ist Altkleidersammlung, und ich sortiere gerade meinen Kleiderschrank aus!"

"Alter!" Das Lama dreht sich vor Erleichterung auf die Seite. "Mach so was ja nie wieder mit mir!"