Friday, April 13, 2012

Der Wettlauf zum Südpol…

Das Telefon klingelt Sturm, ununterbrochen und unaufhaltsam seit ich die Penthousetür aufgeschlossen und mich bepackt mit Einkaufstüten hindurchgezwängt habe.

"Ja, verdammt!" nuschele ich zwischen zusammengepressten Zähnen, die den Türschlüssel halten, weil einige Tüten und Taschen unter die Achseln geklemmt sind und andere die Hände blockieren. Warum klingelt das Telefon nur immer in den Momenten, in denen es einem am wenigsten passt? Und wie lange klingelt es überhaupt schon? Und warum klingelt es überhaupt? Denn:

Kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
so lange ich hier wohn,
ist es fast wie Hohn,
schweigt das Telefon.

Kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
und ich frage mich,
denkt gelegentlich jemand mal an mich.

Den Zustand find ich höchst fatal,
für heut'ge Zeiten nicht normal,
wo jedermann darüber klagt,
dass Telefon an Nerven nagt.
Ich trau mich kaum mehr aus der Tür,
denn stets hab ich vermutet,
dass kaum, dass ich das Haus verlass,
es klingelt oder tutet.

Vielleicht, das manche mich im Land der Dänen wähnen,
oder fern von hier, wo die Hyänen gähnen.
Denn kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
doch liegt es nicht an mir,
ich zahle monatlich die Telefongebühr.

Das war für mich kein Zustand mehr,
es musste eine Lösung her,
das war für mich sofort der Anrufbeantworter.
Und als ich dann nach Hause kam,
war ich vor Glück und Freude lahm,
es blinkte froh der Apparat,
dass jemand angerufen hat.

Die sanfte Stimme einer Frau verrät mir und erzählt:
"Verzeihen Sie, mein werter Herr,
ich habe mich verwählt."
(Max Raabe & Sein Palastorchester)

Die Einkaufstüten landen auf dem Küchentisch, etwas zu schwungvoll, denn eine der Papiertüten bekommt Übergewicht und landet mit einem leisen Klirren auf dem Fußboden. Während ich mich noch frage, was denn da nun wohl zu Bruch gegangen ist und ob ich nicht vielleicht wieder einmal viel zu viel eingekauft habe, haste ich schon ins Wohnzimmer und reiße das tragbare Telefongerät aus der Ladestation an mein Ohr.

"Ja?" melde ich mich und denke, verdammt, so wollte ich mich niemals am Telefon melden. Katholisches Pferdekrematorium Bielefeld wäre eine viel originellere, wenn auch leicht verwirrende und morbide Art und Weise der Meldung zu Beginn eines Telefongesprächs, denke ich. Oder einfach:

"Ich bin da
und wo bist Du?"

"Wer ist da?" frage ich nach, als sich nach einigen Minuten noch immer nichts am anderen Ende tut.

"Kein Schwein, falls Du das vermutet haben solltest", kommt eine leicht gemeckerte Antwort aus dem Apparat. "Und auch keine Hyäne. Obwohl Du wahrscheinlich allen etwas zu sagen hättest, Doktor Bromford Dolittle!"

Ich fasse es nicht. Es ist das Lama!

"Na, endlich, Alter! Wird Zeit, dass Du Dir endlich mal ein Handy anschaffst! Oder wenigstens einen von diesen Anrufbeantwortern. Weißt Du eigentlich, wie lange ich schon versuche, Dich zu erreichen?"

Das Tier lässt mir keine Zeit für eine Antwort.

"Und wenn Du schon den ganzen Tag aus dem Haus bist, dann schaff Dir wenigstens einen Praktikanten an oder einen neuen Mitbewohner, der Deine Anrufe entgegennehmen kann, Alter!"

Ich klemme mir das tragbare Telefon zwischen Ohr und Schulter und begebe mich damit zurück in die Küche, um meine Einkäufe auszupacken und einzuräumen. Zuerst muss ich das zerschellte Gurkenglas und die durchnässte Tüte entsorgen, mit der es vom Küchentisch gefallen ist.

"Und wer sagt Dir, dass ich nicht schon längst einen neuen Mitbewohner habe?" frage ich provokant, während der Mülleimerdeckel klappert.

Das Lama am anderen Ende der Leitung stößt ein verächtliches Schnauben aus.

"Wer sollte das wohl sein? The Big Lebowski, Alter? The Dude?"

"Noch so ein Film, den ich noch immer nicht zu Ende gesehen habe!" werfe ich schnell ein.

"Also nicht der Dude, Alter, der mehr Dude ist als alle Dudes, die Hugo Reyes jemals Dude genannt haben könnte, Alter." Das Tier quasselt mich wieder einmal schwindelig. Wann hat es nur die moderne Kommunikationsmöglichkeit der Fernmeldetechnik entdeckt? Und habe ich Telefonate mit ihm wirklich vermisst oder gebraucht?

"Nein, nicht der Dude! Dein neuer Mitbewohner wäre eher Knut, der Eisbär. Oder eher der Vater vom Knut. Der würde viel besser zu Dir passen, allein schon dem Namen nach und so. Aber vielleicht wohnst Du doch besser weiter allein. Nicht dass alles mit Paranoia endet wie Fear And Loathing In Las Vegas."

"Nicht noch so ein Film, den wir beide nie zusammen gesehen haben!" beschwöre ich das Lama und stelle Milchtüten und Joghurtbecher in den Kühlschrank. "Warum rufst Du eigentlich an? Und von wo genau?"

Im Hintergrund höre ich Hundegebell und Windgeräusche.

Das Lama scheint den Mund vom Hörer wegzubewegen und brüllt nun jemanden in seiner Nähe an:
"Quiqueg, mein Heidenfreund! Wir nehmen die Schlitten mit den schwarzen Huskys! Die weißen Köter haben unterschiedlich farbige Augen und glotzen mir zu blöd! Und pass auf mit dem Ozonloch da!"

Ozonloch? Irgendwas bringt das zum Klingen in meinem Hinterkopf.

"Wir sind hier auf Grahamland, in der Antarktis, nördlich der Amundsensee."

"ANTARKTIS???" ich denke, das klingt schriller als beabsichtigt. "Nicht mehr Südamerika? Vom Zuckerhut Brasiliens direkt ins ewige Eis?"

"Exactement! Hast Du etwa was dagegen, Alter?" raunzt das Lama.

"Nein, nein, natürlich nicht!" wiegele ich ab. "Du hast also den südamerikanischen Kontinent verlassen, ohne Deine Familie, ohne Deine Lamaleute zu besuchen?"

"Kennt man ein Lama, kennt man sie alle!" erklärt das Tier. "Außerdem haben wir die einmalige Chance an einem Wettrennen zum Südpol teilzunehmen, Quiqueg, mein heidnischer Schabrackenfreund und ich. So wie damals vor hundert Jahren Amundsen und Scott. Wir müssen uns nur noch für eines der beiden Teams entscheiden."

Ich seufze leise und stelle den Abflussreiniger unter die Spüle.

"Quiqueg will mit Robert Falcon Scott, dem einheimischen Pinguin losziehen. Aber der hat diese weißen Schlittenhunde mit diesen starrenden Glotzaugen, die mich total nervös machen. Ich persönlich bin ja dafür, uns dem Team um den norwegischen Austauscheisbären Roald Amundsen anzuschließen. Der Junge scheint mir mehr Potential zu haben, als dieser Scott, Alter!"

Amundsen? Scott? Wer hatte damals noch als erster den Südpol erreicht und etwas länger in der Kälte der Antarktis überlebt? Soll ich dem Lama irgendwas raten, irgendwelche Warnungen aussprechen? Und Schlittenhunde in der Antarktis? Ist das überhaupt erlaubt? Von Eisbären am Südpol einmal ganz zu schweigen…

"So, ich muss dann mal los!" keucht das Lama plötzlich. "Ich lege dann mal auf. Ich melde mich, wenn ich angekommen bin. Oder auch nicht, Alter!"

Was folgt ist eine undurchdringliche Stille. Ich drücke den roten Hörer auf dem Telefongerät und schließe die Klappe des Tiefkühlfachs, in das ich gerade eine Packung Zitronenwassereis gelegt habe. Yellow Snow? Don't Eat The Yellow Snow? Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

"Das Schlimmste ist eingetreten … ", geht es mir durch den Kopf. "Alle Träume sind dahin. … Großer Gott! Dies ist ein schrecklicher Ort …"
Und: "Letzter Eintrag. Um Gottes Willen, kümmert Euch um unsere Leute."

Und von einem Schabrackentapir keine Spur…

3 comments:

  1. Gar nichs zu Freitag, dem 13.? Wußtest Du eigentlich, dass es jedes Jahr mindestens einen Freitag, den 13. gibt und höchstens drei? Und dass dies hier der zweite Freitag ist in diesem Jahr, der auf einen 13. fällt? Und dass noch einer kommt? Und dass es nach dem 13. Juli 14 Monate dauert bis zum nächsten 13. Freitag, weil nächstes Jahr kein Schaltjahr ist? Und dass das alles total egal ist, weil die Welt sowieso untergeht am 21. Dezember? Und dass drei Freitage der 13. nur ein kleines, weiteres Indiz für das Ende der Welt sind?

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  2. Aber die Maya und der Willi schreiben doch an der Fortsetzung des Maya-Kalenders! Die Welt wird nicht untergehen am 21. Dezember 2012 um 20:00 Uhr MEZ. Liest Du denn gar nicht diesen Blog?

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  3. Dafür ist heute vor einhundert Jahren ein Luxusdampfer namens TITANIC untergegangen und alles wegen einem pummeligen Eisberg namens Kate...

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