Mein Nachbar ist ein Lama. Es ist kürzlich im Apartment unter mir eingezogen. Es ist Raucher und möchte bei mir einziehen. Aber das nur nebenbei. Zur Sache…
"DING! DONG!"
Es klingelt. Wer mag das sein zu dieser Zeit? Ich gehe zur Tür und öffne.
"Ah. Sie sind's", sage ich.
"Hallo", sagt das Lama. "Darf ich reinkommen?"
"Bitte", sage ich.
Es trabt an mir vorbei ins Wohnzimmer.
"Mögen Sie Nirvana?" fragt es und fläzt sich in den Sessel.
"Die Band?" frage ich und lasse mich aufs Sofa fallen.
"Nein, das Jenseits!" sagt es. "Natürlich die Band! Sie stellen wohl gern unnötige Fragen…"
"Ja."
"Was ja? Sie mögen Nirvana oder Sie stellen gern unnötige Fragen?"
"Beides", sage ich. "Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Und Nevermind war damals die erste Platte, die ich mir selbst im Laden gekauft habe."
"Wirklich?" fragt das Lama.
"Nein. In Wahrheit war es Heart Over Mind von Jennifer Rush."
"Die mit den Schlauchbootlippen und den Leder-Miniröcken?" fragt das Lama.
"Später schon", sage ich. "Also das mit den Schlauchbootlippen. Aber ich wünschte, es wäre Nevermind gewesen."
"Sehen Sie mal, was ich zufällig dabei habe", sagt das Lama und zieht eine ziemlich blaue Schallplatte aus seinem Beutel, den es wie immer über der Schulter trägt. "Hätten Sie was dagegen, wenn ich die mal auflege? Ich hab nämlich zu Hause meine Anlage noch nicht angeschlossen und…"
Ich nicke und deute auf den Plattenspieler.
Here we are now – entertain us…
"Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?" setzt das Lama unser Gespräch fort.
"Wieso?" frage ich.
"Sie sind tagsüber immer zu Hause und – ohne Ihnen jetzt zu nahe treten zu wollen – es ist 16:14:00 Uhr, und Sie sind immer noch im Pyjama."
"Ich bin, äh, na ja, äh, irgendwie, äh, Künstler", sage ich. "Ich arbeite nachts."
"Anschaffender Künstler?" fragt das Lama.
"Freischaffend heißt das", sage ich.
"Ach so."
"Ich schreibe Kommentare und Blog-Beiträge, und dann poste ich die und…"
"Ach! Sie sind Lebenskünstler!" sagt das Lama.
Ich zucke zusammen: "Ah! Das böse Wort."
"Lebenskünstler?"
Wieder zucke ich zusammen.
"Kennen Sie das Tocotronic-Lied: 'Ich verabscheue euch wegen eurer Lebenskunst zutiefst'?" fragt das Lama.
"Nein", sage ich. "Denn das Lied heißt 'Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst'."
"Verstehe."
"Und Sie?" frage ich. "Was machen Sie?"
"Ich bin in der Wollbranche", sagt das Lama.
"Ach so."
"Was dagegen?"
"Nee, nee."
Das Lama blickt mich herausfordernd an.
"Angora?" frage ich.
"Alpaka", sagt das Lama. Es deutet auf die Packung auf dem Tisch. "Was ist denn das?"
"Schnapspralinen", sage ich.
"Darf ich?"
"Bitte. Mag ich sowieso nicht."
Es wirft sich zwei Pralinen in den Mund.
"Köstlich!" ruft es. "Auch welche?"
"Nee. Mag ich nicht. Haben Sie nicht zugehört?"
"Offensichtlich nicht", sagt das Lama. "Denken Sie nicht mit?"
"Nein. Nie", sage ich. "Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Haben Sie nicht zugehört?"
"Offensichtlich nicht", sagt das Lama. "Denken Sie nicht mit?"
"Nein. Nie", sage ich. "Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Haben Sie nicht zugehört?"
"Offensichtlich nicht", sagt das Lama. "Denken Sie nicht mit?"
"Nein. Nie", sage ich. "Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Haben Sie nicht zugehört?"
"Offensichtlich nicht", sagt das Lama. "Denken Sie nicht mit?"
"Wir sind gefangen in einer Endlosschleife", sage ich.
"Ja, ja", sagt das Lama und nimmt sich noch eine Praline.
"Lebenskünstler also…", sagt es und lacht kurz auf. "Here we are now – entertain us!"
"Machen Sie das öfter?" frage ich.
"Sie meinen: Zitieren?"
"Ja."
"Wollen wir uns duzen?" fragt das Lama.
"Von mir aus", sage ich.
"Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft."
TRÖÖÖT TRÖÖÖT TRÖÖÖT
TRÖÖÖT TRÖÖÖT TRÖÖÖT
Eine ohrenbetäubende Alarmsirene ertönt. Massive Stahlwände werden vor Türen und Fenstern in das und aus dem Penthouse heruntergefahren und riegeln es von der Außenwelt ab. Dazu kommen perfekt aufeinander abgestimmte Alarmleuchten aus den Wänden und tauchen die ganze Wohnung in ein dunkelrotes Blinklicht.
"Was ist denn nun los?" brüllt das Lama über das Getröte hinweg und hält sich gleichzeitig die Ohren zu.
"Verdammt!" schreie ich. "Das muss dieser Karl-Theodor-Maria-Nikolaus-Johann-Jacob-Philipp-Franz-Joseph-Sylvester-Freiherr-von-und-zu-Guttenberg-Gedächtnis-Plagiatsalarm sein, vor dem mich die Eigentümer vor dem Einzug in dieses BlockBlog-Apartment gewarnt haben. Hast Du etwa falsch zitiert, alter Paarhufer?"
"Ich bin mir keiner Schuld bewusst!" brüllt das Lama. "Aber diese ganze Lahmes-vom-Lama-Sache kommt mir irgendwie bekannt vor. Und das, obwohl das ganz und gar nicht die Geschichte war, wie wir uns tatsächlich kennengelernt haben und schon gar nicht, wie alles begann."
Der Großbildfernseher schaltet sich ein und in einer roten Laufschrift auf schwarzem Grund können wir jetzt lesen:
Bromford Bibble,
Hiermit fordern wir Sie zum wiederholten
Male auf, es zu unterlassen, Geschichten
aus den Känguru-Chroniken von
Kai-Uwe Klong und seiner Radio-Comedy
und deren PodCasts abzukupfern.
Dies gilt insbesondere für das Kapitel
Kleinkunst
auf den Seiten 14 bis 16
in der 12. Auflage der Taschenbuchausgabe
von 2011 aus dem Ullstein-Verlag.
Hochachtungsvoll
Die Versammlung der Eigentümer.
"Ich habe nicht abgekupfert!" maule ich. "Was soll das eigentlich heißen – Abkupfern? Eine billigere Kopie von etwas erstellen? Ist der Begriff überhaupt noch zeitgemäß, heutzutage, wo osteuropäische Heuschrecken-Internethändler verlassene Gebäude alteingesessener westlicher Industriebetriebe aufkaufen, angeblich um Versandlager zu errichten, und als erstes die Kupferrohre aus den Wänden reißen? Unsere Waren brauchen keine Heizung und die Angestellten können sich ja warm arbeiten. Pah!"
"Jetzt lenk nicht ab!" brüllt das Lama. "Tu was gegen den Krach!"
"Ich bin kein Plakatator!" maule ich weiter. "Und die Platte von Jennifer Rush war wirklich eine meiner ersten. Bei dem Kling – nicht Klong, verdammt! – war es Hier kommt Kurt von Frank Zander."
"Ohne Helm und ohne Gurt. Einfach Kurt?" fragt das Lama.
"Ja", sage ich, "aber jetzt kupferst Du ab, alter Paarhufer! Außerdem habe ich Kleinkünstler durch Lebenskünstler ersetzt. Und den Kommunismus durch die Wollbranche und Trotzki und Ho Chi Minh durch Angora und Alpaka."
"Ganz davon abgesehen, dass Du mit einem Lama zusammenlebst und nicht mit einem Känguru", sagt das Känguru.
"LAMA!" schreit das Lama. "Du hast Dich vertippt, alter BlockBlogger!"
"Ist ja schon gut", murmele ich.
Scheinbar konnte ich auch den Plagiatsdetektor von meiner Einsicht überzeugen, denn die Alarmsirene verstummt, die Blinkleuchten verschwinden und die Stahlwände werden wieder hochgefahren.
"Außerdem kann ich es kaum bis zur zeitgleichen Veröffentlichung der Taschenbuchausgabe und der vom Autor live und ungekürzt eingelesenen Hörbuchversion der Känguru-Offenbarung und damit dem voraussichtlichen Abschluss und Höhepunkt der Känguru-Trilogie erwarten, die am 10. März 2014 erscheinen sollen", verkünde ich einer nicht vorhandenen Zuhörer- und Leserschaft.
"Wenn das so ist", sagt das Lama und schaltet den Fernseher aus.
Und irgendwo weiter oben fehlt ein GRRRRRRR!