Monday, April 30, 2012

I Like To…

Move It, Move It!
I Like To Move It, Move It!
I Like To…
Move It!

Das Lama hat doch wohl nicht…? Es wird doch wohl nicht…?

Ich kneife die Augen zusammen und bedecke sie zusätzlich mit der rechten Hand. Mit der linken drehe ich langsam die neue Fotopostkarte um. Vorsichtig öffne ich die Augen wieder und wage einen kurzen Blick durch die Finger.

Eine Fotomontage, fährt es mir durch den Kopf. Eine andere Erklärung kann und darf es nicht geben. Das Lama hat ein Bild von sich in ein Filmplakat geschnitten. Die Figuren, die es umgeben, sehen einfach zu sehr nach Computeranimation aus. Das Lama umringt von einer Horde Halbaffen, Lemuren, Makis mit riesigen Kulleraugen und neben ihm, auf einer Art Holzthron, ein Katta mit schwarz-weiß geringeltem Schwanz und einer Art Krone aus Blättern und Früchten auf dem Kopf. Und dazu der Text dieses Liedes? I Like To Move It?

Ich drehe die Karte wieder um. Das Lama schreibt:

Bromford, Du neuzeitliche Spezies!

Doch eigentlich sollte ich diese, meine Ode an das Leben und die seiner Einzigartigkeit nicht mit einer so schnöden Anrede beginnen.

Madagaskar! Oh, wundervolles, vertrocknendes Madagaskar! Oh, wundervolle und zugleich bedrohte Heimat endemischer Vielfalt, die Du Jahrtausende lang nicht von der Menschheit verseucht warst, weil Du Dich entschiedest, Dich vom Mutterkontinent Afrika abzuspalten! Erspart blieben Dir die Riesenaffen! Und Deine schlimmsten Raubtiere sind die Fossa, Eupleridae der katzenartigen Art!

Stell' Dir vor, Bromford, alte Socke! Quiqueg, mein Heidenfreund aus Wanne-Eickel, hat das Fliegen nicht verlernt! Nachdem der ehemalige Präsident Nelson Mandala uns ein kleines Flugzeug besorgt hat, sind wir von Durban aus direkt über den Kanal von Mozambique nach Madagaskar, auf die viertgrößte Insel der Welt geflogen.

Und jetzt haben wir seit Tagen Party, Party, Party! Der König der Insel, King Julien – der mit Krone neben mir auf dem Foto – ist ein echtes Partyanimal! And He Really Knows How To Move It!!!

Wenn Du genauer hinschaust, dann kannst Du hinter den wirklich beeindruckenden Baobabs, den Affenbrotbäumen im Hintergrund, auch Quiqueg, das Schabrackentapir, meinen Heidenfreund aus Wanne-Eickel sehen, wie er mit einigen Fremden eine Runde Poker spielt. Das sind vielleicht ein paar Typen! Ein Löwe, ein Zebra, eine Giraffe und ein Flusspferd, die hier gestrandet sind. Und dann sind da noch diese vier zwielichtigen Pinguine, aber denen traue ich nicht über den Weg! Ich glaube, die bluffen nicht nur, die schummeln!

Aber nun zieht mich der Beat zurück auf die Tanzfläche. Ich bewege jetzt noch etwas mein Hinterteil, bevor die Fossa wieder einen ihrer lächerlichen Überfälle starten!

Lass Dich nicht einseifen!
Gruß und Kuss Kusskuss.


King Julien, ein Löwe, ein Zebra, eine Giraffe, ein Flusspferd und zwielichtige Pinguine? Das ist doch schon wieder alles nur geklaut! Aber wenn das Bild eine Montage ist, dann ist es eine mehr als gute.

Und von einem Schabrackentapir keine Spur...

Tuesday, April 24, 2012

Dinge wandern durch das Haus…


* Kennst Du das auch?

- Was denn?

* Dass Gegenstände durch das Haus wandern?

- Gegenstände wandern durch das Haus? Wie das denn? Batteriebetriebene Gegenstände? Erschütterungen durch vorbeirasende LKW? Erdbeben? Poltergeister?

* Manchmal redest Du so einen Unsinn, Alter!

- Und warum wandern nun Gegenstände durch das Haus? Und vor allem, wo wollen sie eigentlich hin?

* Also damals, bei uns zu Hause.

- Auf den südamerikanischen Hochebenen Chiles?

* Halt die Klappe, Alter! Also damals, bei uns zu Hause, da gab es dieses Haus unserer Nachbarn.

- AHA!

* Unterbrich mich nicht dauernd, Alter!

- Muss doch ausnutzen, dass Du endlich wieder anrufst und dass ich auf Deinen Blödsinn direkt reagieren kann!

* Also, damals bei uns zu Hause, da gab es dieses Haus unserer Nachbarn, in dem ich sehr, sehr oft zu Gast war. Es war praktisch schon wie mein eigenes Zuhause.

- Kommt mir irgendwie bekannt vor. Bei einem, der gleich beim ersten Klingeln fragt, ob er einziehen darf, wundert mich gar nichts mehr.

* Alter!

- Ist ja schon gut. Also, da war dieses Haus mit den Nachbarn, und?

* Also, damals bei uns zu Hause, da gab es dieses Haus unserer Nachbarn, in dem ich sehr, sehr oft zu Gast war. Es war praktisch schon wie mein eigenes Zuhause. Und da gab es diesen orangen Teller aus Plastik. Der war eigentlich eher eine sehr breite, aber flache Schale, also mehr ein tiefer Teller. Aber eben aus Plastik. Ich glaube, das war ein Werbegeschenk aus den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Etwas, das man als Zugabe zu einer Palette Babybrei dazu bekommen haben könnte oder so…

- Woraus ist eigentlich Rinderfilet gemacht?

* Rind, nehme ich mal an. Warum?

- Und woraus wird dann wohl Babybrei gemacht? Oder was kommt auf den Kinderteller? Was ist mit Zigeunerschnitzeln? Oder Hundefutter?

* Alter!

- Wann gewöhnst Du Dir eigentlich endlich diese dusselige Anrede wieder ab? Ich weiß, ich kann es nicht leugnen oder verhindern, das Alter, aber musst Du die ganze Zeit darauf herumreiten?

* Alter! Kann man denn hier nicht einen Gedanken zu Ende bringen?

- Es fahre fort, das edle Tier…

* Also, damals bei uns zu Hause, da gab es dieses Haus unserer Nachbarn, in dem ich sehr, sehr oft zu Gast war. Es war praktisch schon wie mein eigenes Zuhause. Und da gab es diesen orangen Teller aus Plastik. Der war eigentlich eher eine sehr breite, aber flache Schale, also mehr ein tiefer Teller. Aber eben aus Plastik. Ich glaube, das war ein Werbegeschenk aus den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Etwas, das man als Zugabe zu einer Palette Babybrei dazu bekommen haben könnte oder so…

- Es wiederholet sich, das edle Tier…

* Also, nachdem dieser Teller zusammen mit den Einkäufen das Haus betreten und der Sohn des Hauses eine Zeit lang daraus seinen Brei gefüttert bekommen hat, verweilte er noch etliche Jahre im Küchenschrank. Er wurde noch dann und wann zur Aufbewahrung einer Eierpampe zum Panieren von Schnitzeln benutzt. Dabei nutzte er sich selber immer mehr ab. Das orange Plastik wurde spröde und fast schon haarig. Da wanderte der Teller weiter in Richtung Mülltonne. Aber er wurde nicht weggeworfen, denn er war ja noch nicht kaputt. Er diente dann noch einige Jahre als Untersetzer für eine Topfpflanze, aber nicht im Wohnzimmer, denn das knallige Orange passte nicht zur Inneneinrichtung. Und als er dann schließlich undicht wurde, wanderte er weiter in den Garten, wo er noch heute als Aufbewahrung und Ausbringungshilfe für Rasendüngerkügelchen dient. Wie Du siehst: Dieser Gegenstand ist durch das Haus gewandert. Von der Küche, in den Keller und schließlich in den Garten. Und das, obwohl er keine Beine und nicht einmal Batterien hat.

- Du kommst noch aus der schlechten, alten Zeit, oder? Hier wird garantiert nichts weggeworfen. Nieder mit der Wegwerfgesellschaft !!!

* Das verstehe ich jetzt nicht. Der Teller wurde ja gerade nicht weggeworfen, Alter!

- QUIQUEG! Hol' mich hier raus!

* Der Schabrackentapir aus Wanne-Eickel, mein heidnischer Freund, wird garantiert nicht an den Telefonapparat kommen. Er ist gerade beim Staatsempfang von Nelson Rolihlahla Mandala, dem ehemaligen Staatschef dieses Landes. Er hat uns zusammen mit unserer Rugby-Mannschaft zu einem gewaltigen Barbecue, dem sogenannten Braai eingeladen. Die hässlichen, grünen Trikots kratzen zwar etwas am Hals, aber dafür gibt es hier Boerewors und Biltong so viel das Herz oder der Magen begehrt. Dumm nur, dass wir Vegetarier sind, der Quiqueg und ich. Aber sonst ist die Stimmung echt phantastisch! Und wenn Du mir hier nicht gerade ein Ohr abkauen würdest, denn wäre ich schon längst wieder draußen in der Feiermenge.

- So, so. Ihr seid also in Südafrika. Wo denn genau? In Pretoria? In Kapstadt? In Johannesburg? Port Elizabeth?

* Irgendwo da in der Gegend, Alter. Du weißt schon.

- Und wie war es nun am Südpol?

* Kalt, Alter. Du weißt schon.

- Und hat die Geschichte mit dem wandernden Plastikteller auch eine Pointe oder bleibt sie so po-enten-los wie eine Deiner Story-Cube-Geschichten?

* Eine meiner was?

- Ach, vergiss es einfach.

* Schon passiert, Alter! Aber ich muss los. Quiqueg hat ein neues Flugzeug gefunden. Wir wollen nachher noch einen kleinen Rundflug über ein Elefantengebiet machen. Vielleicht treffen wir ja da den spanischen König auf Safari.

- Und von einem Schabrackentapir keine Spur?

* Verstehe ich nicht, Alter! Bist Du sicher, dass Dir das Alleinwohnen bekommt?

- Guten Flug!

Ich lege auf und den Telefonhörer weg. Wenn ich etwas nicht hören will, dann ist es, wie am anderen Ende der Leitung aufgelegt wird.

Und von einem Schabrackentapir keine Spur…

Wednesday, April 18, 2012

34° Luftfeuchtigkeit…

Mit einem Weinglas in der Hand und geschlossenen Augen trete ich an die Balustrade um meine Dachterrasse und atme die Nacht ein. Der Wind trägt heute den salzigen Geruch und Geschmack des Meeres von der Bucht herüber und den Lärm der feiernden Massen zu mir herauf. Vor meinen Augenlidern tanzen kleine, bunte Punkte. Sind das noch die Überreste der großen Konfetti-Parade am Nachmittag?

Bromford, die freundliche Stadt am Meer, die heißt wie der Mann, feiert ihren Geburtstag, und nie gesehene Menschenmassen feiern mit. Wie hatte es nur jemals Zeiten geben können, in denen ich glaubte, die einzige lebende Seele in dieser Stadt zu sein?

Nach Einbruch der Nacht und Dunkelheit hat sich der Lärm der feiernden Menschen hinter die Türen der Kneipen und Bars zurückgezogen. Nur ab und an spucken sie in einem Schwall von lauter Musik, Gesprächsfetzen und Gelächter einen randalierenden Betrunkenen aus, dessen Krach und Radau dann aus den Straßenschluchten zu mir heraufschallt.

Ich nehme noch einen tiefen Schluck roten Weins, dann gehe ich langsam und vorsichtig schwankend auf die Glasschiebetür ins hell erleuchtete Wohnzimmer zu. Mit leisem Platschen und Flossenschlagen bringen sich die Goldfische in ihren beiden Becken auf der Dachterrasse in Erinnerung. Über allen Lama-Geschichten wären Romeo und Julia fast in Vergessenheit geraten. Aber es geht ihnen gut.

Und irgendwo im Wohnzimmer schleppt sich eine kleine Eidechse durch eine sich ballende Staubschicht über den Parkettboden. Gehört sie da hin? Soll sie da sein? Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ein Omen? Da sind Eidechsen in diesem Haus! Lizards! I am the Lizard King. I can do anything. Was hatte Jim Morrison im Sinn, als er sich selbst zum "Lizard King", dem König der Eidechsen ernannte?

Mit kreiselnden Gedanken und drehendem Gesichtsfeld wie auf dem Karussell sinke ich auf das Sofa. Hat das alles nur der Wein gemacht?

Vom Lama nur eine bildlose Postkarte mit der knappen Botschaft:

"Noch immer unterwegs…"

Na, wenigstens nicht mit Scott erfroren auf dem Rückweg vom verlorenen Wettlauf zum Südpol, denke ich, als mir die Weinflasche aus den Fingern gleitet und den Rest ihres Inhalts glucksend auf den Holzfußboden ergießt.

Und von einem Schabrackentapir keine Spur…

Stattdessen Worte und gesungene Gedanken, die mich in einen weinseligen Schlummer ziehen:

Da marschieren klitschnasse Clowns,
doch die Leute, die den Umzug sehn, durchnässt,
tragen viel bessere Masken -
raffiniert und wetterfest.
Wie geschickt verbirgt die Frau dort,
dass ihr Mann sie grün und blau schlägt!
Und wer erkennt im Ausgehkleid
schon das Leid ringsherum!
Und währenddessen fällt der Regen,
und Kinder patschen mit Sonntagsschuh'n
mitten in Pfützen hinein,
und Mütter bemühen sich verzweifelt
die Knirpse ins Trockne zu schrei'n.

Man sammelt Geld für die Kriegsbekämpfung
Fenster reizen zum Kauf.
Die Geldwelt reibt sich die Hände,
denn die Rechnung geht glatt auf.
Auf dem Markt steht als Denkmal
ein ehrenwertes Schlitzohr -
der Lohn für die perfekte Gaunerei.
Hagel prasselt herab. Väter fluchen.
Beim Bahnhof eine Schlägerei.
Es wird plötzlich finster.
Der Himmel hängt nun ganz tief.
Es blitzt! Da, nochmal!
Gott macht ein Foto von der Stadt fürs Archiv.

Dreißig Methoden, um Büsten festzuhalten.
Frauenfleisch auf Papier.
Mütter zerren die Söhne weiter.
Greise verspüren Gier.
An dem Stand, wo 's nach Fett stinkt,
kauft ein Fettwanst eine Bratwurst
und stopft sie hastig in sich rein.
Spatzen kontrollieren, was er wegwirft,
daneben hebt ein Hund sein Bein.
Und überall Scherben, Betrunkene torkeln,
und einem wird schlecht.
Lautsprecher dudeln.
Menschen in Rudeln,
ein Bettler spielt Brecht.

Da marschieren klitschnasse Clowns,
doch die Leute, die den Umzug sehn, durchnässt,
tragen viel bessere Masken -
raffiniert und wetterfest.
Wie geschickt verbirgt die Frau dort,
dass ihr Mann sie grün und blau schlägt!
Und wer erkennt im Ausgehkleid
schon das Leid ringsherum!
Und währenddessen fällt der Regen,
und Kinder patschen mit Sonntagsschuh'n
mitten in Pfützen hinein,
und Mütter bemühen sich verzweifelt
die Knirpse ins Trockne zu schrein.

Herman van Veen [mal wieder…]

Friday, April 13, 2012

Der Wettlauf zum Südpol…

Das Telefon klingelt Sturm, ununterbrochen und unaufhaltsam seit ich die Penthousetür aufgeschlossen und mich bepackt mit Einkaufstüten hindurchgezwängt habe.

"Ja, verdammt!" nuschele ich zwischen zusammengepressten Zähnen, die den Türschlüssel halten, weil einige Tüten und Taschen unter die Achseln geklemmt sind und andere die Hände blockieren. Warum klingelt das Telefon nur immer in den Momenten, in denen es einem am wenigsten passt? Und wie lange klingelt es überhaupt schon? Und warum klingelt es überhaupt? Denn:

Kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
so lange ich hier wohn,
ist es fast wie Hohn,
schweigt das Telefon.

Kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
und ich frage mich,
denkt gelegentlich jemand mal an mich.

Den Zustand find ich höchst fatal,
für heut'ge Zeiten nicht normal,
wo jedermann darüber klagt,
dass Telefon an Nerven nagt.
Ich trau mich kaum mehr aus der Tür,
denn stets hab ich vermutet,
dass kaum, dass ich das Haus verlass,
es klingelt oder tutet.

Vielleicht, das manche mich im Land der Dänen wähnen,
oder fern von hier, wo die Hyänen gähnen.
Denn kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich,
doch liegt es nicht an mir,
ich zahle monatlich die Telefongebühr.

Das war für mich kein Zustand mehr,
es musste eine Lösung her,
das war für mich sofort der Anrufbeantworter.
Und als ich dann nach Hause kam,
war ich vor Glück und Freude lahm,
es blinkte froh der Apparat,
dass jemand angerufen hat.

Die sanfte Stimme einer Frau verrät mir und erzählt:
"Verzeihen Sie, mein werter Herr,
ich habe mich verwählt."
(Max Raabe & Sein Palastorchester)

Die Einkaufstüten landen auf dem Küchentisch, etwas zu schwungvoll, denn eine der Papiertüten bekommt Übergewicht und landet mit einem leisen Klirren auf dem Fußboden. Während ich mich noch frage, was denn da nun wohl zu Bruch gegangen ist und ob ich nicht vielleicht wieder einmal viel zu viel eingekauft habe, haste ich schon ins Wohnzimmer und reiße das tragbare Telefongerät aus der Ladestation an mein Ohr.

"Ja?" melde ich mich und denke, verdammt, so wollte ich mich niemals am Telefon melden. Katholisches Pferdekrematorium Bielefeld wäre eine viel originellere, wenn auch leicht verwirrende und morbide Art und Weise der Meldung zu Beginn eines Telefongesprächs, denke ich. Oder einfach:

"Ich bin da
und wo bist Du?"

"Wer ist da?" frage ich nach, als sich nach einigen Minuten noch immer nichts am anderen Ende tut.

"Kein Schwein, falls Du das vermutet haben solltest", kommt eine leicht gemeckerte Antwort aus dem Apparat. "Und auch keine Hyäne. Obwohl Du wahrscheinlich allen etwas zu sagen hättest, Doktor Bromford Dolittle!"

Ich fasse es nicht. Es ist das Lama!

"Na, endlich, Alter! Wird Zeit, dass Du Dir endlich mal ein Handy anschaffst! Oder wenigstens einen von diesen Anrufbeantwortern. Weißt Du eigentlich, wie lange ich schon versuche, Dich zu erreichen?"

Das Tier lässt mir keine Zeit für eine Antwort.

"Und wenn Du schon den ganzen Tag aus dem Haus bist, dann schaff Dir wenigstens einen Praktikanten an oder einen neuen Mitbewohner, der Deine Anrufe entgegennehmen kann, Alter!"

Ich klemme mir das tragbare Telefon zwischen Ohr und Schulter und begebe mich damit zurück in die Küche, um meine Einkäufe auszupacken und einzuräumen. Zuerst muss ich das zerschellte Gurkenglas und die durchnässte Tüte entsorgen, mit der es vom Küchentisch gefallen ist.

"Und wer sagt Dir, dass ich nicht schon längst einen neuen Mitbewohner habe?" frage ich provokant, während der Mülleimerdeckel klappert.

Das Lama am anderen Ende der Leitung stößt ein verächtliches Schnauben aus.

"Wer sollte das wohl sein? The Big Lebowski, Alter? The Dude?"

"Noch so ein Film, den ich noch immer nicht zu Ende gesehen habe!" werfe ich schnell ein.

"Also nicht der Dude, Alter, der mehr Dude ist als alle Dudes, die Hugo Reyes jemals Dude genannt haben könnte, Alter." Das Tier quasselt mich wieder einmal schwindelig. Wann hat es nur die moderne Kommunikationsmöglichkeit der Fernmeldetechnik entdeckt? Und habe ich Telefonate mit ihm wirklich vermisst oder gebraucht?

"Nein, nicht der Dude! Dein neuer Mitbewohner wäre eher Knut, der Eisbär. Oder eher der Vater vom Knut. Der würde viel besser zu Dir passen, allein schon dem Namen nach und so. Aber vielleicht wohnst Du doch besser weiter allein. Nicht dass alles mit Paranoia endet wie Fear And Loathing In Las Vegas."

"Nicht noch so ein Film, den wir beide nie zusammen gesehen haben!" beschwöre ich das Lama und stelle Milchtüten und Joghurtbecher in den Kühlschrank. "Warum rufst Du eigentlich an? Und von wo genau?"

Im Hintergrund höre ich Hundegebell und Windgeräusche.

Das Lama scheint den Mund vom Hörer wegzubewegen und brüllt nun jemanden in seiner Nähe an:
"Quiqueg, mein Heidenfreund! Wir nehmen die Schlitten mit den schwarzen Huskys! Die weißen Köter haben unterschiedlich farbige Augen und glotzen mir zu blöd! Und pass auf mit dem Ozonloch da!"

Ozonloch? Irgendwas bringt das zum Klingen in meinem Hinterkopf.

"Wir sind hier auf Grahamland, in der Antarktis, nördlich der Amundsensee."

"ANTARKTIS???" ich denke, das klingt schriller als beabsichtigt. "Nicht mehr Südamerika? Vom Zuckerhut Brasiliens direkt ins ewige Eis?"

"Exactement! Hast Du etwa was dagegen, Alter?" raunzt das Lama.

"Nein, nein, natürlich nicht!" wiegele ich ab. "Du hast also den südamerikanischen Kontinent verlassen, ohne Deine Familie, ohne Deine Lamaleute zu besuchen?"

"Kennt man ein Lama, kennt man sie alle!" erklärt das Tier. "Außerdem haben wir die einmalige Chance an einem Wettrennen zum Südpol teilzunehmen, Quiqueg, mein heidnischer Schabrackenfreund und ich. So wie damals vor hundert Jahren Amundsen und Scott. Wir müssen uns nur noch für eines der beiden Teams entscheiden."

Ich seufze leise und stelle den Abflussreiniger unter die Spüle.

"Quiqueg will mit Robert Falcon Scott, dem einheimischen Pinguin losziehen. Aber der hat diese weißen Schlittenhunde mit diesen starrenden Glotzaugen, die mich total nervös machen. Ich persönlich bin ja dafür, uns dem Team um den norwegischen Austauscheisbären Roald Amundsen anzuschließen. Der Junge scheint mir mehr Potential zu haben, als dieser Scott, Alter!"

Amundsen? Scott? Wer hatte damals noch als erster den Südpol erreicht und etwas länger in der Kälte der Antarktis überlebt? Soll ich dem Lama irgendwas raten, irgendwelche Warnungen aussprechen? Und Schlittenhunde in der Antarktis? Ist das überhaupt erlaubt? Von Eisbären am Südpol einmal ganz zu schweigen…

"So, ich muss dann mal los!" keucht das Lama plötzlich. "Ich lege dann mal auf. Ich melde mich, wenn ich angekommen bin. Oder auch nicht, Alter!"

Was folgt ist eine undurchdringliche Stille. Ich drücke den roten Hörer auf dem Telefongerät und schließe die Klappe des Tiefkühlfachs, in das ich gerade eine Packung Zitronenwassereis gelegt habe. Yellow Snow? Don't Eat The Yellow Snow? Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

"Das Schlimmste ist eingetreten … ", geht es mir durch den Kopf. "Alle Träume sind dahin. … Großer Gott! Dies ist ein schrecklicher Ort …"
Und: "Letzter Eintrag. Um Gottes Willen, kümmert Euch um unsere Leute."

Und von einem Schabrackentapir keine Spur…

Monday, April 09, 2012

Ostereierhasi…

"Ostern ist das Fest der Familie", verkündet das Lama und wirft rohe Eier an die Wand hinter dem Sofa und mich weit zurück in die Osterzeit im vergangenen Jahr.

"Das hast Du auch schon von Weihnachten behauptet", antworte ich und ziehe den Kopf ein, als ein weiteres Ei knapp an meinem Ohr vorbei fliegt.

"Masel tov!" grunzt das Lama eine Zustimmung und ditscht sich ein Ei an die Stirn.

"Und vom Lame-Day, dem höchsten Feiertag aller Lamas zu Ehren eures Schutzheiligen Lamato, hast Du das auch behauptet!"

"Genau!" Das Tier schubbert sich den haarigen Rücken an der Eierpampe, die langsam an der Tapete Richtung Holzfußboden läuft.

"Und nun soll Ostern das Fest der Familie sein?"

"Zumindest ist Ostern das Fest der Familienspiele!"

"Aha", reagiere ich wenig überzeugt. "Ich sehe hier keine Familie. Weder Deine haarige, noch meine mehr oder weniger glatthäutige. Und wie war das noch? Freunde kann man sich aussuchen? Familienmitglieder nicht?"

"Exatamente!" murmelt das Lama und kramt etwas aus seinem Stoffbeutel, den es wie so oft über der Schulter trägt.

"Und welches Spiel willst Du spielen? Lama-Ärgere-Dich-Nicht? Oder Sockenhüpfen?" Ich fühle, dass ich einen Flunsch ziehe, während ich die Sauereierei an der Wand hinter dem Sofa betrachte.

"Spielen wir doch Story Cubes!"

Noch bevor ich nachfragen kann, was das ist, hat das Lama neun Würfel aus dem Beutel gezogen und jeweils eines der neun aus vierundfünfzig Symbolen auf jeweils sechs Seiten auf den Couchtisch gewürfelt. Es beißt sich in übertriebener Denkerpose auf der Unterlippe herum, während es aus den neun Piktogrammen auf den Würfeln eine Geschichte zu bilden versucht:

"Es war einmal ein Hirschkäfer namens Horst!" Der erste Würfel fliegt an die Wand zur Eierpampe. "Der wollte unbedingt in ein verschlossenes Zimmer…" Der zweite Würfel zeigt ein Vorhängeschloss. "… wo auf einem Schrank ein verbotener Pfeil lag, den er nicht anfassen sollte." Würfel drei und vier fliegen hinter das Sofa. "Mit einem Schnitt…" Das Bild einer Schere, die in ein Blatt Papier schneidet. "… und einem Tritt…" Würfel sechs zeigt eher einen Fuß, der gegen einen Fußball tritt, aber egal. "… brach er die Tür auf." Jetzt sind nur noch zwei Geschichten-Würfel übrig. "Dabei verletzte er sich den Daumen,…" Sehr passend, ein heulendes Strichmännchen mit einem dicken Daumen, der allerdings auch ein ausgeschlagener Zahn sein könnte, denn mit der anderen Strichhand hält das Strichmännchen sich die andere Wange. "… was ihn sehr, sehr traurig machte." Der letzte Würfel mit einem Smiley-Gesicht mit den Mundwinkeln nach unten fliegt ebenfalls an die Wand.

"Aha", sage ich. "Und das war jetzt also die Würfel-Geschichte? Nicht gerade spannend oder überzeugend, wenn Du mich fragst! Außerdem fehlte da jetzt irgendwie die Po-Ente!"

"Oh, der Herr sind heute wieder extra anspruchsvoll! Dann spielen wir eben Mono-Polly!" motzt das Lama.

"Heißt das nicht irgendwie anders?" wage ich nachzufragen.

"Irgendwie bist Du echt eine Familienfest- und -spielspaßbremse!" Das Lama schüttelt genervt den Kopf hin und her. "Also ich spreche von Mono-Polly, dem Spiel in dem man der armen Polly, die noch keine Stereo-Anlage hat und alles Mono hören muss, helfen kann auf ihrem Weg zur Superduper-Super-Trouper-High-Definition-Clear-Performance-Dolby-Supreme-Sourround-Mega-Blaster-Highend-Anlage, die ein zahnloser Drache im Labyrinth unter einer efeuumrankten Mittelalter-Burgfeste gefangen hält. Das war Brettspiel des Jahres 1953, soweit ich weiß!"

"Das hast Du Dir gerade ausgedacht!" murmele ich irgendwie entgeistert und erstarre mit weit aufgerissenen Augen und aufgeklapptem Mund.

Dann fällt der Eierlöffel auf das hartgekochte Frühstücksei. Heute ist nicht das Osterfest des vergangenen Jahres, und ich führe auch keine der üblichen, sinnlosen Diskussionen mit dem Lama über gar nichts. Das Lama ist nicht einmal hier. Ich sitze allein am Frühstückstisch in der Küche.

Und auf der inzwischen schon obligatorischen Fotopostkarte, die das grinsende Lama auf irgendeinem zerfetzten Sitz im Inneren eines schäbigen Autobusses zeigt und die auf dem Tresen neben der Spüle liegt, steht geschrieben:

Letztes Ostern haben wir uns noch gar nicht gekannt!
Gruß und Kuss Kusskuss.

Und von einem Schabrackentapir keine Spur…