Wednesday, September 28, 2011

Seelenklempner…

"Wasserrohrbruch!"

Seufzend gebe ich den Weg in mein Penthouse frei.

Irgendwann musste es ja mal passieren. Irgendwann musste ich das Lama ja mal in meine Wohnung lassen.

Das seltsame daran, dass ein sprechendes, kamelartiges Tier jetzt mein Nachbar ist, ist die Tatsache, dass man sich so schnell daran gewöhnt.

Und so kann mich auch die lächerliche Verkleidung nicht aus dem Konzept bringen.

Das Lama trägt heute eine blaue Latzhose und eine Schirmmütze in der gleichen Farbe. Statt des Beutels, der ihm sonst über die Schulter baumelt, trägt es heute einen Werkzeugkasten auf dem Rücken und einen angeklebten, schwarzen Schnauzbart unter den Nüstern an der Oberlippe.

"Ich bin der Klempner!"

Das glaube ich keinen Augenblick. Auch dann nicht, als es etwas von Wasser murmelt, das im Apartment unter mir von der Decke tropft, und schnurstracks auf mein Badezimmer zusteuert.

Hatten wir die Diskussion nicht gerade erst, ob es mein Bad benutzen darf oder nicht?

Als es jedoch eine Rohrzange aus dem Werkzeugkasten auf seinem Rücken zieht und das Teil zwischen den Vorderhufen balancierend auf das Waschbecken losgeht, schreite ich ein.

"Was soll das Theater?" frage ich. "Glauben Sie, ich erkenne Sie nicht in Ihrer albernen Verkleidung? Sie sind immer noch dasselbe Lama, das seit Tagen versucht, in meine Wohnung zu kommen!"

"Ignorant!" knurrt das Lama. "Für Sie sieht ein Lama auch aus wie das andere, oder was?"

Der falsche Schnurrbart zittert, wackelt und fällt schließlich auf die hellen Badezimmerfliesen.

Blitzschnell lässt das Lama sich auf alle vier Hufe fallen. Es schnappt nach dem künstlichen Schnauzbart und schluckt ihn runter. Dann keilt es aus und treibt mich damit aus meinem Badezimmer.

Nach zwanzig Minuten schließt es die Tür wieder auf.

Es lüpft die blaue Schirmmütze und wischt sich imaginären Schweiß von einer mehr oder weniger imaginären Stirn.

"Schaden behoben!" verkündet es stolz.

Die Rohrzange landet klappernd und scheppernd zurück im Werkzeugkasten.

"Ich hoffe, Sie sind gut versichert, so wie es in dem Apartment unter Ihnen aussieht. Das arme, arme Lama, das dort wohnen muss."

Bevor ich noch protestieren kann, ist es aus der Penthousetür hinaus und im Treppenhaus verschwunden.

Das Badezimmer scheint unverändert, sauber und unzerstört.

***

Es klingelt.

Vor der Tür steht das Lama.

Die Latzhose, die Schirmmütze und der Werkzeugkasten sind verschwunden.

"Darf ich um Asyl bitten?" fragt es mit großen, feuchten Augen. "Bitte?"

"Der Schaden ist behoben, sagt das Klempner-Lama", sage ich.

"Es tropft nicht mehr, das ist richtig", sagt das Lama, "aber diese hässlichen, großen Wasserflecken und diese Ränder!"

Es wühlt in dem einfachen Beutel, den es jetzt wieder über der Schulter trägt. "Außerdem habe ich eine Flasche Wein dabei!"

Ich seufze. Das musste ja irgendwann mal passieren.

Stunden später sitzen wir angetrunken auf der Dachterrasse, unter der Laube aus wildem Wein.

Neben uns stapeln sich einige leere Weinflaschen und diverse leere Sechserpacks Bier.

"Willst Du wirklich hier einziehen?" frage ich das Lama.

"Wasserrohrbruch", antwortet es schulterzuckend und wirft eine leere Bierflasche hinter sich.

"Und?" frage ich. "Gab es den Wasserrohrbruch schon bevor Du Dich als Klempner-Lama verkleidet in meinem Badezimmer eingeschlossen hast?"

"Wer weiß, der weiß", ist die äußerst unklare Antwort.

Friday, September 23, 2011

Badetag…

"Uff! Ich glaube, ich brauche ein Bad!"

Vor der Tür zu meinem Penthouse steht das Lama. Schon wieder. Und ich lasse es immer noch nicht rein.

"Na, ich nehme doch mal an, das Apartment 24 im fünfzehnten Stockwerk hat ein vorzügliches Badezimmer mit einer vorzüglichen Badewanne. Ist doch auch eines der großen Apartments und das einzige auf der Etage", entgegne ich.

"Ja, schon", sagt das Lama, "und der Vorbesitzer scheint sie selten benutzt zu haben, die Badewanne. Sieht aus, als konnte der über Wasser laufen."

Erinnerungen flammen in mir auf an den letzten 24. Dezember.

"Und warum wollen Sie dann bei mir ein Bad nehmen?" frage ich.

Das Lama zuckt nur die Schultern.

"Außerdem bezweifele ich, dass Ihre wilden Verwandten in Südamerika ein Vollbad jemals auch nur in Betracht ziehen würden", trumpfe ich auf.

"Mache ich Ihnen zum Vorwurf, dass Sie nicht mehr wie ihre Artgenossen und Vorfahren auf den Bäumen sitzen und Früchte fressen?" braust das Lama auf. "Das nennt man Evolution, Sie Rassist! Das ist Rassismus und Sie sind ein Rassist, Bromford Bibble!"

Ich möchte protestieren, Gegenargumente bringen.

Ich teile mein Bad nun mal nicht gern mit wildfremden Wesen, nicht einmal mit meinen Artgenossen, geschweige denn mit einem spuckenden Paarhufer.

OK, vielleicht ist das wirklich Rassismus, denn das Lama gehört wahrlich einer anderen Rasse an als ich, aber alle Menschen gehören zu einer Rasse.

Oder wie waren noch mal die genauen Definitionen? Arten? Unterarten? Unarten? Dünnes Eis, ganz dünnes Eis. Und demagogischer Schwachsinn, denke ich.

"Wie dem auch sei!" ersticke ich eine Diskussion mit dem Lama im Keim, die nie wirklich stattgefunden hat. "Mein Bad gehört mir!"

"Wie dem auch sei!"

Äfft das Lama mich etwa nach?

"Dann steige ich eben in meine eigene, unbenutzte Badewanne. Aber beschweren Sie sich nicht, wenn hinterher das ganze warme Wasser aufgebraucht ist!"

Und wieder trabt es davon in Richtung Treppenhaus.

Tuesday, September 20, 2011

Die Lama-Chroniken…

Es klingelt.

Ich öffne die Tür zu meinem Penthouse über dem fünfzehnten Stockwerk, auf dem Dach des Hochhauses in der Whitaker Lane 666 in Bromford, der freundlichen Stadt am Meer.

Draußen steht ein Lama.

Nanu, denke ich, da bin ich gerade erst zurück von meinem mysteriösen Ausflug unter die Berggipfel der Doppelspitze und mein erster Besuch ist ein wolliges Tier aus der Familie der Kamele?

Ein Königreich für ein Lama, denke ich, oder wahlweise The Emperor's New Groove in einem Anflug von Bilingualität oder als Auswirkung meiner Begegnung mit jenem englischsprachigen Doppeldecker-Werbus vor all diesen Jahren.

"Hallo, mein Name ist Kusskuss", sagt das Lama, "und ich bin gerade in das Apartment 24 unter Ihrem Penthouse eingezogen."

Es steht auf den Hinterbeinen und hält eine Zigarette zwischen den Vorderhufen.

"Haben Sie Feuer?" fragt das Lama.

"Sehe ich aus, als würde ich rauchen?" entgegne ich.

"Nun ja", antwortet das Lama und kommt einen Schritt auf mich zu. "Um ehrlich zu sein, sehen Sie aus, als würden Sie brennen!"

Es schmeißt die Kippe über die Schulter hinter sich, über den Kiesweg und damit im hohen Bogen über die Dachkante.

"Es ist sowieso ungesund. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich bei Ihnen einziehen würde?"

"Ja", sage ich und will die Tür wieder zumachen.

Das Lama zieht einen Laib Brot und ein Skatblatt aus seinem Beutel, den es um die Schulter hängen hat.

"Brot und Spiele", sagt das Lama, "zum Einzug."

"Ich kann kein Skat spielen", sage ich. "Und außerdem fehlt uns dazu der dritte Mann."

"Rassist", sagt das Lama, "wenn Sie ein weiteres Tier als Skatpartner kategorisch ausschließen. Oder Sexist, wenn Sie das gleiche mit einem weiblichen Wesen tun!"

Ich habe keine Ahnung, wovon das Tier da redet.

"Kennen Sie Marc-Uwe Kling?" fragt das Lama plötzlich unvermittelt.

"Nein", antworte ich schnell, obwohl mir der Name irgendwie bekannt vorkommt.

Und während ich noch überlege, ob ich den Namen kennen müsste, setzt es nach: "Oder kennen Sie vielleicht sein kommunistisches Känguru?"

Sprechende Lamas und kommunistische Kängurus? Das wird ja immer schlimmer, denke ich. Ümmer schlümmer.

"Na gut", sagt das Lama, "auf die Hufe, sozusagen. Man sieht sich. Or I'll Be Back, wie der Terminator sagen würde."

Und während es sich wieder auf alle Viere niederlässt und mit wippendem Schwanz in Richtung Treppenhaus verschwindet, dämmert es mir.

Natürlich kenne ich Marc-Uwe Kling und sein kommunistisches Känguru. Von wem hätte ich sonst die Idee von Begegnungen und Gesprächen mit einem sprechenden Tier in der Nachbarschaft und später in der eigenen Wohnung und der Öffentlichkeit geklaut?

Und die ganze Zeit über steht die Wohnungstür offen.

Wednesday, September 14, 2011

Bromford Bridge...

Als ich heute Morgen mein kleines Haus auf dem Hügel verließ, der einmal ein Hochhaus in einer Großstadt war, die so heißt wie ich, um die Geister und Phantome zu jagen, die ich nun schon seit Monaten hinter roten Vorhängen vermute, trugen meine Schritte mich unaufhaltsam quer durch die kleine Stadt im Wald, vorbei am Diner, vorbei am großen Hotel, vorbei am Warenhaus, vorbei am Sägewerk, hinaus aus dem Schatten der Doppelspitze bis direkt vor den Anfang der großen Brücke.

Die Bromford Bridge. Das muss sie sein. Aber war die Bromford Bridge schon immer eine Eisenbahnbrücke? Vorsichtig setzte ich meine Füße auf die Schienen auf dem Stahlgerüst hoch über dem Fluss. Wo ist der Wald? Wo sind die Bäume?

Wie heißt der Fluss? Er wird breiter und breiter und verschwindet am Horizont. Doch er verschwindet nicht. Er mündet im Meer, vereinigt sich hinter dem großen Delta mit dem Ozean.

Das Vogelgeschrei stammt von Möwen, nicht von Eulen.

Und da ist sie endlich wieder:
Bromford, die freundliche Stadt am Meer.
Home Sweet Home.
Home is where the Heart is.

Und ohne es zu bemerken und vollkommen unbewusst haben meine Schritte mich vor das Hochhaus in der Whitaker Lane 666 getragen, auf dessen Dach sich mein kleines Penthouse befindet. Ich blicke die fünfzehn Stockwerke hinauf, folge mit den Augen dem Weg des rankenden, wilden Weins. Keine geheimen Spezialaufträge mehr. Keine ungeklärten Morde unter der Doppelspitze. Ich bin zuhause. Und es fühlt sich richtig an.


Wo ist die Zeit geblieben?
Jahr für Jahr für Jahr.
Träum' ich, dass ich lebe
oder ist es wahr?

War das, woran ich glaubte,
in Wirklichkeit nur Schein?
Hab ich zu lang geschlafen
und sah es nur nicht ein?

Was früher mir vertraut war
wie meine eigne Hand
ist mir, der ich erwacht bin,
auf einmal unbekannt.

Hier wurde ich geboren,
mit Liebe großgezogen.
Das Land ist fremd geworden,
als wäre es gelogen.

All die Kameraden
sind träge nun und alt.
Bebaut sind alle Felder.
Gerodet ist der Wald.

Die mich von damals kennen,
sehn an mir vorbei.
Die Welt ist voller Kälte
und voller Heuchelei.

Wieviel schöne Tage
hab ich hier erlebt?
Nichts ist mir geblieben,
was mein Herz erhebt.

Nichts stimmt mich mehr heiter.
Überall Verrat.
Nur der Fluss strömt weiter
wie er's immer tat.

Klage – Herman van Veen
Text: Walther von der Vogelweide

Sunday, September 11, 2011

Silence...

After Smoke and Dust are gone
All that remains is
Silence…
Revenge?

Saturday, September 03, 2011

Bomm Bomm… Bomm Bomm…


"Guten Morgen!" sagt Norma, die Bedienung im Diner 'Double R'. "Sie sind aber früh auf!"
"Das Böse schläft nie!" sage ich, und Norma lächelt eigenartig und verständnislos während sie mir Kaffee einschenkt. Ich bestelle einen gedeckten Kirschkuchen.

Verdammt guter Kaffee. Verdammt guter Kuchen. Verdammt hohe Bäume.

Ich bezweifele, dass Norma, diese alternde, blonde Schönheitskönigin weiß, wovon ich spreche.
"Wie geht es Agent Cooper?" fragt sie dann auch prompt. "Heilt seine Wunde vom Sturz in den Spiegel?"
Arme, hübsche, dumme Norma Jennings oder wie auch immer sie sich nach ihrer Trennung von Hank auch nennen mag. Sie hat definitiv keine Ahnung, wovon ich spreche, und keine Ahnung, was mich in dieses kleine Städtchen im Schatten der beiden Berggipfel verschlägt.

Es war kein Unfall, der Special Agent Dale Cooper in den Spiegel seines Hotelbadezimmers stürzen ließ. Es war nicht einmal Special Agent Cooper selbst, der da mit der Stirn voran in den Spiegel über dem Waschbecken stolperte.

Das Böse schläft nie! Bob schläft nie! Er ist immer auf der Suche, rastlos, hungrig, gierig. Was ist es, das er verschlingt? Garmonbozia, die Speise der Götter? Oder sind es Seelen, arme, verwirrte, anfangs so unschuldige Seelen?

Aber… oder eher und… Bob ist Dale Coopers Problem. Mein Problem ist Frank, der mich immer mehr verfolgt und bedrängt. Eines Tages zerrt er mich in die schwarze Hütte und lässt mich dort zurück. Dann ist Bromford Frank und Frank Bromford.

Oder ist das schon längst passiert?

Was ist nur aus Bromford, der freundlichen Stadt am Meer geworden?

Und wie geht es Annie? Arme, unschuldige, heilige Annie Blackburn. Und Norma hat keine Ahnung, dass das nicht ihre Schwester ist, die da aus dem Wald zurückgekehrt ist und sich jetzt im Krankenhaus von ihrer Entführung durch Windom Earle erholt.

Ein Teller mit Kirschkuchen wird scheppernd vor mir auf dem Tresen abgestellt. Die Teigschicht reißt auf und eine blutige Masse quillt heraus wie aus einer großen Platzwunde.
"Darf ich Ihnen noch einmal nachschenken?"
Ich schrecke aus meinen düsteren Gedanken und von meinem schwarzen, süßen Kaffee auf.

Norma hat eine neue Bedienung. Norma selbst spricht an der Tür zur Küche mit Ed Hurley. Ich frage mich flüchtig, ob er Nadine für Norma verlassen wird, jetzt, da seine Frau ihr Gedächtnis zurückerlangt hat.

Dann wandert mein Blick an der neuen Kellnerin, die mir den Kuchen gebracht und nach meinem Kaffeewunsch gefragt hat, hinauf. Über das Namensschild an der Brust ihrer hellblauen Uniform. Über ihr strahlendes Lächeln bis hinauf in ihre blitzenden, hellgrauen Augen.
"Sheryl" steht auf ihrem Namensschild. Und ich frage mich, warum es niemandem in der Stadt auffällt, dass sie Laura Palmer und auch ihrer Cousine Maddy Ferguson wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Nur dass ihr Haar weder blond noch schwarz sondern dunkelrot ist.

Und schon bald wird man ihre Leiche im Fluss treibend finden, eingewickelt in durchsichtige Plastikfolie.

Ist das der Lauf der Welt?
The Way of the World.
Even the Way of Another World?