Bromfords "Bärenpark" ist kein Tierpark, denn für gewöhnlich gibt es hier keine Tiere, außer vielleicht abgeleinte Hunde, die Gras- und Grünflächen mit ihren Hinterlassenschaften verzieren. In Wahrheit heißt er "Darkside Park", denn er ist eine Parkanlage in Bromfords ärmerem Stadtteil Darkside, jenseits des Flusses, hinter der Brücke, rund um den Hafen. "Bärenpark" nennt man ihn nur, weil hier vor etwa hundert Jahren ein Fischer einen Eisbären mit einem Knüppel erschlagen haben will, weil der in den Fischgründen der Stadt gewildert haben soll.
Der Fischer namens Frank Rutherford hatte den weißen Bären aus dem hohen Norden zuerst mit seinem Kutter an Land gejagt, ihn dann zu Fuß bis unter einen Baum gehetzt und ihn schließlich mit einem abgebrochenen Ast dieser Eiche zu Tode geknüppelt.
Noch heute bildet eine Bronzestatue des grimmigen, bärtigen Mannes den Mittelpunkt des Parks. In der Hand erhoben hält er den Knüppel in siegreicher Pose, den rechten Fuß im Stiefel auf den leblosen Körper des Bären gestellt. Erst vor etwa zwanzig Jahren hat man in die metallene Fischermütze Rutherfords und das offene Maul des Bären zwei Fontänen eingebaut und damit das Denkmal zu einem Springbrunnen gemacht.
Und alljährlich findet das Bärenpark Picknick zu Ehren des denkwürdigen Tages vor hundert Jahren im Darkside Park statt, an dem eine hilflose Kreatur ihr Ende gefunden hat, als wären wir in einer dieser jungen Nationen ohne lange Geschichte, die jedes fragwürdige Ereignis zur historischen Begebenheit verklärt. Jedes Jahr am letzten Sommerwochenende treffen sich die Bewohner Bromfords und Freunde und Besucher aus Nah und Fern im Park zum Grillen und Trinken, zum Tanzen und Feiern. Sie grillen Unmengen von fangfrischem Fisch, essen die traditionellen Bärentatzen und trinken importiertes Bärenbräu-Bier. Das Bier ist herb und bitter und unter die Bärentatzen, dieses süße, gefüllte Gebäck, werden regelmäßig Scherzversionen gemischt, die statt mit Mandeln und Schokolade mit gemahlenen Fischgräten und Fett gefüllt sind.
Und von Jahr zu Jahr wieder amüsiert sich die versammelte Feiergemeinde, wenn ein Picknickbesucher beim Biss in den Keks eine salzig, tranige Überraschung erlebt, deren Geschmack er auch mit Unmengen an Bärenbräu zum Nachgießen nicht so schnell aus dem Mund bekommt. Man sagt, man ist angekommen und aufgenommen in Bromford, wenn einem ein Freund oder Nachbar aus Bromford ein solches, präpariertes Gebäck schenkt oder selber bäckt.
Und regelmäßig werden die unteren Schulklassen aus ganz Bromford abgeordert, um die Picknickgemeinde mit Gesängen und Musik, Theaterstücken oder Tanzvorführungen zu unterhalten. Das Highlight des diesjährigen Festes war die dritte Klasse der Bromford Grundschule, die in selbstgebastelten und geschneiderten Pinguinkostümen einen lustigen, watschelnden Reigen rund um den Rutherford-Springbrunnen tanzte.
Begleitet wurde sie dabei von einer Schülerin mit dicken Brillenbläsern und einem Schüler mit Zahnspange aus der vierten Klasse, die dazu auf der Geige und einer Trompete eine entsprechende Begleitmusik anstimmten. Und das sechsmal am Tag, zu jeder vollen Stunde, an drei Tagen hintereinander.
Dirigiert, choreografiert und geleitet wurde die Darbietung von einer verhärmten Lehrerin mit duttiger Hochsteckfrisur im unscheinbaren, mausgrauen Sommerkostüm, die mit wilden Gesten und am lautesten mitsingend und klatschend vor ihren Schülern auf und ab hüpfte und auch bei der letzten Aufführung am Sonntagnachmittag noch Tränen der Rührung in den Augen hatte.
Es ist ein langer, heißer und dazu trockener Sommer gewesen, der die Erderwärmung noch um ein paar Grade nach oben getrieben hat. Die legendäre Nordwest-Passage zwischen Atlantik und Pazifik durch das arktische Meer war erstmals seit Jahrtausenden eisfrei und passierbar. Schon zückten die Regierungen und Wirtschaftskonzerne der Anrainerstaaten ihre Karten und verlangten, dass die Grenzen neu festgelegt und vermessen werden sollten, denn man wollte an die Rohstoffe auf dem Meeresboden, der sonst von eiskaltem Wasser und einer meterdicken Eisschicht bedeckt war. Und die geschlossene Eisschicht mit ihren Eisschollenausläufern rund um den Nordpol und Grönland – das man aufgrund seines Eises lieber Island hätte nennen sollen – und Island aufgrund der vulkanischen Aktivitäten und der damit verbundenen Vegetation lieber Grönland, also Greenland, das viel mehr ein Iceland ist oder war, aber vermutlich wegen der Klimaerwärmung immer mehr zu einem Grünland werden wird – also von dort und dem Nordpol zog sich die geschlossene Eisschicht mit ihren Eisschollenausläufern immer weiter zurück.
Sie zog sich immer weiter zurück und ließ einen alten, müden, beinahe zahnlosen und ergrauenden Eisbären heimat- und orientierungslos zurück. Nach einem langen und wenig erfolgreichen Fischzug weit hinein ins offene Meer, fand das mit seinen beinahe vier Metern Länge besonders große Exemplar der Gattung Ursus maritimus kein Land und kein Eis zum Ausruhen und Kräftesammeln für einen erneuten Jagdausflug mehr. Also schwamm und schwamm es, immer weiter und weiter, und landete ausgerechnet am Bärenpark-Picknick-Tag im Hafenbecken von Bromford.
Es war ein beinahe vierzig Jahre altes Männchen, auf einem Auge so gut wie blind, aber seine Nase funktionierte noch recht gut und so roch er den Berg an Fischen, der im Park darauf wartete, gegrillt und verspeist zu werden. Und so tauchte er bis zu einem Gestade aus großen Steinen, nahe der Hafenausfahrt und ging an Land. Und trotz des Lärms der Picknickgemeinde und der irritierenden Gerüche nach Grillwaren und Gebäck machte er sich auf den Weg ins Landesinnere in Richtung Darkside Park.
Ist es möglich, kann es sein, dass wir in diesem Jahr genau den einhundertsten Jahrestag des Sieges des Fischers Frank Rutherford über jenen Bären feiern, der sich Anfang des letzten Jahrhunderts so dreist an den Fischvorkommen vor der Stadt bedient hatte? Ist es ein zu großer Zufall, dass gerade jetzt und nach all dieser Zeit wieder ein Exemplar derselben Gattung in die Feierlichkeiten dieses Jahrestages platzt?
Die dritte Grundschulklasse hatte gerade erst ihren sechsten und damit letzten Pinguintanz um den Springbrunnen für diesen Sonntag und damit das gesamte jährliche Bärenpark Picknick begonnen, als der Eisbär sich mit einem bedrohlichen Knurren auf einem nahen Hügel zu seiner vollen Größe auf die Hinterbeine erhob. Das Grollen seines hungrigen Magens übertönte dabei fast das wilde Gebrüll aus seinem Maul. Vor sich in Schwarz und Weiß sahen seine trüben Augen eine ganze Schar seiner bevorzugten Beute im Kreis um einen Eisberg watscheln. Dazu kam der betörende, fischige Geruch, der über dem Park lag. In einen wahren Fressrausch versetzt, ließ sich das zwar abgemagerte, aber immer noch erstaunlich schwere Tier auf alle Viere fallen und rannte mit der Geschwindigkeit eines kleinen Stadtwagens auf seinen scharfen Krallen und großen Pranken auf die erschrockene Tanzgruppe zu.
Frauen schrien und Männer kreischten. Kinder stolperten wild und fallend durcheinander, als sie sich vor dem Untier in Sicherheit brachten. Wie unnütz und hilflos ist doch der moderne Mensch in der heutigen Zeit im Gegensatz zu seinen steinzeitlichen Vorfahren im Angesicht entfesselter Naturgewalten! Doch die gesamte im Park versammelte Menge verstummte und erstarrte mit einem Schlag, als der Eisbär sich auf einen der kleinen Pinguine stürzte und ihn in der Luft zerfetzte…
…einen der Plüschpinguine, die an einem der unzähligen Souvenir-Verkaufsstände in der Nähe des Denkmals angeboten wurden, denn das alljährliche Bärenpark-Picknick war schon seit Jahren mehr ein Jahrmarkt mit Fahrgeschäften und Verkaufsbuden, etwas, das zu erwähnen ich aus spannungstechnischen Gründen vorher in dieser Erzählung versäumt und absichtlich vergessen habe.
Erschossen wurde der arme, alte und vor allem hungrige Eisbär schließlich von Hailey Goodless, dem Pastor der Bromford Kathedrale, der nicht nur erfolgreicher und einfühlsamer Seelsorger und Hirte seiner Kirchengemeinde ist, sondern nebenbei auch noch passionierte Jäger. Gerade an diesem Morgen war er im einige Kilometer entfernten Stadtwald von Bromford auf der Rotwildpirsch gewesen und hatte zu seinem Abstecher auf das Picknick nicht erst seine Jagdausrüstung nach Hause gebracht.
Er erlegte den Bären mit einem einzigen Schuss, ohne dass dieser weiteren Schaden unter den Feiernden und der Dekoration oder der Handelsware anrichten konnte. Diese Tötungsweise war sicher nicht ganz so heldenhaft wie die, die der Fischer Frank Rutherford vor nunmehr hundert Jahren mit einem Eichenknüppel anwandte, aber vielleicht steht schon in wenigen Jahren eine zweite Statue mit Springbrunnen im Bärenpark.
Und diese zweite Statue wird Hailey Goodless in seinem schwarzen Talar zeigen, das Gewehr in siegreicher Pose in der Hand erhoben und den rechten Fuß im Stiefel auf den leblosen Körper des Eisbären gestellt. Sie wird den heiligen Helden zeigen, der im Jahre 10 des neuen Jahrtausends das Bärenpark Picknick Massaker gerade noch verhindern konnte.
"Ich möchte ein Eisbär sein, im kalten Polar. Dann müsste ich nicht mehr schreien, alles wär' so klar", sang einst eine deutsche Band, aber wer will schon zu einer aussterbenden Tierart gehören, der langsam aber sicher die Lebensgrundlage unter dem Hintern wegtaut?
[Inspired by the title of Bob Dylan's song Talkin' Bear Mountain Picnic Massacre Blues]
Oh, Bromford Bibble, den jeder Frank nennen sollte. Wie kannst Du nur so ungebildet sein oder vorgeben, nicht zu wissen, dass Pinguine nicht die bevorzugte Beute von Eisbären sein können, weil die einen in der Südpolarregion und die anderen im Nordpolarmeer beheimatet sind? Ach, wärst Du doch im Weltall geblieben, Du Space Invader...
ReplyDeleteWas mir noch aufgefallen ist:
ReplyDeleteIst Dir aufgefallen, dass es in dem Lied von Bob Dylan gar nicht um Bären geht? Dass der Herr Robert Zimmerman sich ganz im Gegenteil darüber beschwert, dass er keinen Bären zu Gesicht bekommt und stattdessen beinahe mit seiner ganzen Familie - wife ’n’ kids - auf dem Weg zu diesem Picknick mit einem Schiff untergeht? Und dass er nun keinen Bock mehr auf Picknicks hat? Denk mal darüber nach, Frank!
Bist Du immer noch in meinem Blog, Brotha Blogkommenterrorist? Da fällt mir doch nur eine Erwiderung ein:
ReplyDeleteBlicke In Dein Inneres!
Da drinnen ist eine Quelle des Guten,
die niemals aufhört zu sprudeln,
solange Du nicht aufhörst nachzugraben.
Mark Aurel (121-180),
römischer Kaiser und Philosoph
Warum nur fällt mir das erst jetzt auf, Bromford Bibble, der eigentlich Frank genannt werden sollte?
ReplyDeleteIch dachte, in Bromford gibt es gar keinen Darkside Park! Das jedenfalls schreibst Du in Deinem Post vom Montag, den 3. Mai 2010:
http://bromfordblockt.blogspot.com/2010/05/kennen-sie-den-darkside-park.html
Aber kaum acht Monate später findet in einem Park, den es gar nicht gibt, ein Picknick statt?
Sehr interessant, aber auch ziemlich armselig, Bromford, Du Bibble!
Das nennt sich künstlerische Freiheit, Du elender Blogkommenterrorist!
ReplyDeleteGeh' und spiel' mit was Giftigem, Du Freak.
ReplyDeleteOder spiel' mit Deinem Lama! }]